Traumschlange (German Edition)
ausgeflippt. Die Trommeln und die verdammten Drogen, die der Priester in kleinen, versteckten Schalen verbrannte, hatten dafür gesorgt, dass er nicht mehr Herr über seine Sinn gewesen war. Noch immer sah er Abbys angeekelte Miene, wenn er daran zurückdachte.
Warum habe ich mich bloß so gehen lassen?, fragte er sich erneut.
Auf diese Frage gab es keine Antwort. Es war geschehen.
Als er an der Stadt Arcahaie vorbeifuhr, traf er eine Entscheidung. Er würde sich bei Abby für sein Verhalten entschuldigen. Vielleicht konnte sie ihm verzeihen, wenn sie sah, dass er es aufrichtig meinte.
Patrick trat das Gaspedal durch. Je früher er es tat, desto besser.
Ferre parkte unweit des Oloffson im Schatten eines blühenden Hibiskusbusches und dachte über die Worte nach, die er Abby sagen wollte, als er sah, wie sie das Hotel verließ. Neben ihr ging ein Mann, er erkannte Jean Mitchard sofort.
Erstaunt beobachtet er die beiden, wie sie in einen alten Renault einstiegen, bei dem es sich nur um Mitchards Fahrzeug handeln konnte.
Was war da los? Was hatte Abby mit Mitchard zu schaffen? Dann fiel ihm ein, dass sie das Krankenhaus besucht hatte, indem ihre Schwester verstorben war. Dort musste sie den Arzt kennengelernt haben. Mitchards Anwesenheit konnte nur eines bedeuten, Abby hatte mit seiner Hilfe etwas über Linda Summers Ableben in Erfahrung gebracht. Eine andere Erklärung gab es nicht. Ferre war nicht so naiv zu glauben, es gäbe einen harmloseren Grund dafür, dass die beiden zusammen waren. Nein, sie hatten etwas entdeckt. Er erkannte es an ihren ernsten Gesichtern, aber auch ein inneres Gefühl sagte ihm, es konnte nicht anders sein.
Als der Renault losfuhr, beschloss Ferre ihnen zu folgen.
16. Der Friedhof
Der Friedhof lag am südlichen Ende von Port-au-Prince an der Rue du Dr. Denoux gegenüber dem Stade Sylvio Cator . Abby und Jean betraten das Areal durch ein hohes Eisentor auf dem in metallenen Buchstaben Cimetiere Exterieur zu lesen war. Der Friedhof wirkte wie eine Miniaturstadt, deren Gräber, gleich winzigen Häusern sich im Schutz einer hohen Steinmauer zusammendrängten. Anders als in ihrer Heimat, gab es hier keine Ordnung und kein System. Die Gräber waren weder gleich groß, noch gleich hoch. Viele waren mit Steinplatten bedeckt und wurden von mächtigen Grabsteinen bewacht, aber es gab auch eine Vielzahl von einfachen Gräbern, die achtlos in die Erde gebuddelt aussahen.
Obwohl viele der Gräber in hellblau gestrichen waren, vermittelten sie keinen friedlichen Eindruck. Über allem schwebte der Zerfall. Die meisten Gräber verrotteten in der grellen Sonne. Grabsteine lagen umgestürzt auf der trockenen Erde.
Abby durchschritt langsam den Friedhof von Port-au-Prince. Es schien ihr, als durchwandere sie eine zerbombte Ruinenstadt aus dem zweiten Weltkrieg. Es knirschte unter ihrem Absatz und sie entdeckte den ersten Knochen. Abby dachte zuerst, sie wäre auf ein Stück Plastik getreten, aber als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass es die ausgebleichten Überreste eines Menschen waren. Es gab noch mehr. Manche der Gräber sahen absichtlich zerstört aus. Ein menschlicher Schädel lag neben einer Plastikrose und blickte sie aus leeren Augenhöhlen an. Über dem Nebengrab lagen derartig viele Knochenreste verstreut, dass ein Anthropologe mühelos ein vollständiges Skelett zusammensetzen konnte. Abby schauderte trotz der Hitze. Überall waren die Reste verstorbener Menschen. Es schien, als versuchten die Verstorbenen, von diesem Acker des Todes zu fliehen.
„Grabräuber“, meinte Mitchard lakonisch. Seine Hand deutete auf ein unbeschädigtes Grab, eine gemauerte Gruft. Ein massives Schloss mit fingerdicker Kette sicherte das verrostete Eisentor. „Wer es sich leisten kann, lässt so ein Grab für seine Toten errichten. Dem Großteil müssen allerdings Steine genügen, die über dem Grab aufgeschichtet werden. Diese Steine kosten eine Menge Geld, aber selbst der ärmste Bauer versucht, die Ruhestätte seiner verstorbenen Angehörigen zu sichern. Aber es nutzt nicht viel.“
„Und die Polizei unternimmt nichts dagegen?“, ächzte Abby angewidert.
„Nein, wie sollten sie es auch verhindern? Die Grabschänder kommen nachts, brechen die Gräber auf, um an die Knochen der Toten zu gelangen. Aus den Knochen werden verschiedene Pulver hergestellt. Je nachdem, was man beimischt, werden diese Pulver für Heilmittel oder für Gifte verwendet.“
„Es klingt, als glaubten Sie
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