Traumschlange (German Edition)
Ereignissen auf dem Friedhof, war ihr eigentlich nicht nach lachen zumute, aber die angestaute Anspannung bahnte sich einen Weg. Jean war Arzt, dass er ihr nun mit einem Gruselmärchen kam, mit dem man bestenfalls Kinder erschrecken konnte, war einfach lächerlich.
„Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber bevor Sie mich für einen Spinner halten, lassen Sie es mich erklären.“
„Also gut, sagen Sie, was Sie zu sagen haben.“
„In Haiti ist Zombiefizierung keineswegs so abwegig, wie Sie sich das vorstellen. Jeder hier, ob er nun daran glaubt oder nicht, fürchtete sich vor der Macht der bokors , Voodoopriestern, die sich mit schwarzer Magie befassen. Bokor , bedeutet ‚Der mit der linken Hand dient’. Diese bokors sollen auch über die Macht verfügen, Menschen in lebende Toten zu verwandeln. Der bekannteste Fall betraf einen Mann namens Clairvius Narcisse. Die BBC hat 1980 ein eigenes Fernsehteam nach Haiti entsandt, um diesen Fall zu untersuchen.“
„Und haben sie etwas herausgefunden?“
Mitchard wandte sich im Sitz herum, bis er Abby direkt anblicken konnte. „Die Zombiefizierung hatte nur sehr wenig mit schwarzer Magie, aber sehr viel mit Hautgiften zu tun, die hohes Fieber hervorriefen und schließlich zu einem Koma ähnlichen Zustand führten. Der Puls wurde durch das Gift auf einen Herzschlag pro Minute gesenkt. Die Ärzte stellten in solchen Fällen dann den Tod fest, obwohl das vergiftete Opfer keineswegs verstorben war, sondern nur in einem todesähnlichen Schlaf dämmerte.“
Abby wusste genau, worauf Jean hinaus wollte, aber sie unterbrach ihn nicht.
„Denken Sie an Ihre Schwester“ meinte Mitchard eindringlich. „Auch Sie starb an einer fieberhaften Erkrankung, deren Ursache man nicht kannte. Dabei kann es sich durchaus um Gift gehandelt haben. Ihr Leichnam, erklären die Behörden, wurde beerdigt, dann widerrufen sie diese Aussage und behaupten, er wäre verbrannt worden. Man händigt Ihnen die Asche aus, aber wir finden heraus, dass es sich um die Überreste eines Fremden handelt. Schließlich entdecken wir Lindas Grab, aber es ist leer.“ Er hob die Hand wie ein Klassenlehrer, der um Aufmerksamkeit bat. „Im Sarg waren Kratzspuren von Fingernägeln zu sehen. Wer immer dort begraben wurde, hat noch gelebt und versucht, sich zu befreien.“
„Soweit kann ich Ihnen folgen“, meinte Abby. Sie fröstelte bei der Vorstellung, dass Jean Recht haben konnte.
„Die Sesamkörner waren der entscheidende Hinweis. Die Menschen in Haiti streuen Sesam in die Särge, damit der verstorbene Familienangehörige, sollte er nicht wirklich tot sein, mit zählen beschäftigt ist, bis er endgültig erstickt.“
„Das ist doch Unsinn“, sagte Abby.
„Es ist genauso viel Unsinn, wie die Vorstellung, dass manchen Toten die Lippen zugenäht werden, damit sie dem bokor nicht antworten können, wenn er sie mit ihrem Namen anruft. Andere werden mit dem Gesicht nach unten begraben. Sie sollen ersticken, bevor sie das Bewusstsein wieder erlangen. Ich habe Leichen gesehen, die eines natürlichen Todes gestorben waren und denen man sicherheitshalber noch ein Messer ins Herz rammte, um sie in ihren Gräbern zu halten.“
„Sie wollen mir also sagen, meine Schwester lebt noch?“
„Hören Sie mir eigentlich zu? Sie wissen doch, was ein Zombie ist?“
„Ich habe Filme gesehen.“ Jean konnte in Abbys Stimme einen verächtlichen Unterton hören.
„Ihre Schwester befindet sich in einem viel schlimmeren Zustand. Sie ist weder tot noch lebendig. Ein willenloses Geschöpf ihres neuen Herrn.“
„Und diese Zombies laufen einfach so in der Gegend herum, bis sie jemand findet und ein Filmteam geschickt wird, um den Fall zu dokumentieren?“
„Es heißt, diese bedauernswerten Menschen würden in den Norden verkauft, wo sie ihr Dasein als Arbeitssklaven auf den Zuckerrohrfeldern fristen.“
Das Wort ‚Zuckerrohr’ löste in Abby etwas aus. Linda war Zuckerrohrankäuferin gewesen. Patrick Ferre besaß eine Zuckerrohrplantage im Norden von Haiti. Konnte es wirklich möglich sein? Konnte dieser Wahnsinn tatsächlich wahr sein? Jean schien es zu glauben. Er war ein vernünftiger Mann, soweit hatte sie ihn kennengelernt. Aber lebende Untote?
„Sie müssen so schnell wie möglich abreisen“, sagte Mitchard nun. „Ihr Leben schwebt in großer Gefahr. Wenn bokors an der Sache beteiligt sind, sollten Sie gehen, so lange Sie noch können.“
„Nein!“, meinte Abby entschieden. „Ich bleibe. Wenn
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