Traumschlange (German Edition)
Haiti?“
„Warum nicht? Wenn man genau hinsieht, gibt es überall Elend. Die Menschen verschließen nur die meiste Zeit die Augen davor. Ich habe in England Dinge gesehen, die sie mir nicht glauben würden, aber genug davon. Ich nehme an, Sie haben noch nicht gefrühstückt und ich war so frei, etwas vorzubereiten. Lassen Sie uns nach hinten in den Garten gehen.“
Abby folgte ihm nach draußen und blieb erstaunt stehen. Ein kleines Paradies erwartete sie. Blumen und blühende Büsche verströmten einen intensiven Duft. Insekten tanzten in der Luft. Mitten in dieser Oase stand ein weiß lackierter Holztisch mit zwei Rattanstühlen. Stanwill hatte eine geblümte Tischdecke darüber ausgebreitet, auf der eine silberne Kanne, Tassen und Teller standen. Frisches Baguette lag aufgeschnitten in einem Strohkörbchen.
Stanwill nahm Platz und lud Abby ein, sich ebenfalls zu setzen. Er schenkte ihr Kaffee ein und fragte, ob sie Milch und Zucker wolle. Abby nahm die Milch dankend an, den Zucker lehnte sie ab. Ungeniert begann der Hausherr, sich eine Scheibe Brot zu schmieren. Abby tat es ihm nach und strich dick Butter und Orangenmarmelade auf.
Der Kaffee war stark und von kräftigem Aroma. Abby lächelte Stanwill an.
„Sie leben hier allein?“
„Ja.“
„Keine Familie?“
„Nein.“
„Für einen Junggesellen machen sie einen außerordentlich guten Kaffee.“
„Ich habe mir einen Vorrat aus Kolumbien mitgebracht. Meiner Meinung nach, pflanzen sie dort den besten Kaffee der Welt an.“
„Und Drogen“, meinte Abby.
„Richtig“, grinste Stanwill. „Kaffee ist nur der zweitgrößte Exportschlager dieses Landes.“
„Was mich zum Thema bringt. Jean sagte, Sie könnten mir helfen?“
„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen behilflich sein kann, aber ich kann Ihnen zumindest sagen, worauf Sie sich einlassen.“
„Dann hat Jean schon mit Ihnen gesprochen?“
„Ja, er hat mir alles erzählt. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen?“
„Nein, ist schon in Ordnung.“
„Ihr nächtlicher Ausflug auf den Friedhof war sehr waghalsig.“
„Ich musste mir Klarheit verschaffen. Was halten Sie von der ganzen Sache?“
Stanwill zögerte kurz, dann sah er Abby eindringlich an. „Ich bin der gleichen Meinung wie Jean. Sie haben es hier mit Voodoo zu tun.“
„Dann glauben Sie auch, Linda wäre in einen Zombie verwandelt worden?“
„Alles weist darauf hin. Ihre Schwester muss jemand sehr Mächtigen in die Quere gekommen sein. “
„Angenommen, und ich meine wirklich nur einmal angenommen, Sie haben Recht. Warum hat man Linda nicht einfach ermordet?“
Stanwill kratzte sich am Kinn. „Ich denke, so war es sicherer. Ein Mord hätte die Behörden ins Spiel gebracht. Nicht einmal die Polizei von Haiti hätte den gewaltsamen Tod einer Ausländerin ignorieren können. Untersuchungen wäre angestellt worden. Man hätte sich nach dem Grund für die Ermordung gefragt und wäre vielleicht auf etwas gestoßen, das nicht gefunden werden soll.“ Stanwill schüttelte nachdenklich den Kopf. „Wären Sie nicht in Haiti aufgetaucht und hätten begonnen Nachforschungen anzustellen, hätte der Tod Ihrer Schwester vollkommen natürlich gewirkt. Ein weiteres Opfer einer fieberhaften Erkrankung. So etwas kommt hier öfters vor. Niemand stellt Fragen. Die Leiche wird beerdigt und fertig. Aber dann erschienen Sie und wollten Linda Summers heimführen. Da es keinen Leichnam gab, musste man Ihnen einen präsentieren. Dass Ihnen Jean dabei helfen würde, herauszufinden, dass Alles ein großer Schwindel ist, konnte niemand ahnen. Nun sind Sie den anderen auf die Spur gekommen.“
„Dann glauben Sie auch, meine Schwester lebt noch?“
„Ja, allerdings würde ich Ihren Zustand anders beschreiben.“
„Jean hat bereits versucht, mir einiges zu erklären.“
„Offensichtlich war er nicht besonders erfolgreich. Sie sind nicht aus Haiti abgereist. Ein gefährlicher Umstand. Ich werde Ihnen erzählen, womit Sie es wirklich zu tun haben. Vielleicht ändern Sie dann Ihre Meinung.“
Er schenkte sich Kaffee nach, bevor er weitersprach.
„Alles begann mit einem Mann namens Clairvius Narcisse...“
1980 reiste ein BBC-Team nach Haiti, um den Fall Clairvius Narcisse zu untersuchen. Narcisse war im Albert-Schweitzer-Spital in Deschapelles im Arbonite-Tal an einem unbekannten Fieber verstorben und begraben worden. Achtzehn Jahre später tauchte er auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt l’Estere auf und sprach seine Schwester mit
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