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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Hotelbesitzer verband sie. Diesmal bekam sie sofort ein Freizeichen. Es lag also doch nicht an den Telefonleitungen. Eine junge Stimme meldete sich.
    „Hallo“, sagte Abby. „Mein Name ist Abby Summers. Ich bin eine Bekannte von Dr. Jean Mitchard. Jean ist krank, aber ich erreiche ihn telefonisch nicht und mache mir große Sorgen um ihn. Können Sie mir seine Adresse geben, damit ich nachsehen kann, ob es ihm gut geht?“
    Das Schweigen dröhnte in ihren Ohren. Bestimmt würde diese Kuh jetzt erklären, dass sie nicht befugt war, die Privatadresse eines Arztes herauszugeben. Die Frau sagte etwas ganz anderes.
    „Dr. Jean Mitchard ist tot. Er starb gestern Nacht und wurde heute in St-Marc beerdigt.“
    Der Boden unter Abbys Füßen verwandelte sich in einen gierigen Schlund, der sie verschluckte.
     
     
    Als Jean das Bewusstsein wieder erlangte, umgab ihn totale Finsternis. Seine Sinne funktionierten noch, auch wenn er weder etwas sehen noch hören konnte, aber er roch den intensiven Duft von Holz und Erde. Es dauerte eine Zeit lang, bis sein Gehirn diese Information verarbeitet hatte. Er befand sich unter der Erde. Sie hatten ihn begraben. Seltsamerweise erschreckte ihn dieser Gedanke nicht. Im Gegenteil, wenn ihm seine Gesichtsmuskeln gehorchen würden, hätte er jetzt gelächelt. Eine sonderbare Leichtigkeit hatte ihn erfasst, gab ihm das Gefühl, in der Dunkelheit zu schweben. Eine Weile genoss er diesen Zustand, aber dann wurde ihm langweilig. Er versuchte sich umzudrehen.
    Nichts geschah. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr.
    Vielleicht war das eine zu große Aufgabe gewesen. Wackele mit den Zehen, befahl er sich selbst.
    Wieder nichts. Und wenn sie sich bewegten hatten, dann spürte er es nicht.
    Genauso erging es ihm mit seinen Fingern. Er war gelähmt.
    Seine Nase juckte. Ein Hoffnungsschimmer, der ihn gleich wieder deprimierte. In Linda Summers Sarg hatten sie Kratzspuren gefunden, bei ihr hatte das Gift also längst nicht so stark gewirkt, wie bei ihm. Sie hatte versucht, sich zu befreien, er konnte sich nicht einmal an der Nase kratzen.
    Die haben mir eine ganz schöne Dosis verpasst, dachte er.
    Aber vielleicht reagierte sein Körper auch einfach nur anders auf das Gift. Was war mit dem Atropin? Die Wirkung musste längst eingesetzt haben.
    Wahrscheinlich habe ich mir das Zeug in die Hose gespritzt, überlegte er resigniert. Die Heiterkeit war verflogen. Dafür überfiel ihn nun tiefe Traurigkeit. Er wollte weinen, aber er konnte es nicht. Nicht einmal die Tränendrüsen reagierten noch.
    „Ich will nicht sterben“, versuchte Jean zu brüllen, heraus kam ein unartikuliertes Krächzen. Immerhin ein Anfang. Noch war er nicht tot. Noch konnte er darauf hoffen, dass die Wirkung des Giftes nachließ oder die des Atropins einsetzte. Dann würde er sich befreien.
    Mit diesem Gedanken schlief er ein.
     
     
    Abby Summers erwachte, als ihr Richard Morse einen eiskalten Waschlappen in den Nacken drückte. Sein schwarzes Gesicht glänzte vor Sorge.
    „Was ist mit Ihnen sind Sie krank?“, fragte er aufgeregt.
    „Ich muss ohnmächtig geworden sein.“ Sie setzte sich auf. Schwindel setzte ein. „Wie spät ist es?“
    „Kurz nach zehn.“
    O Gott, sie war fast drei Stunden bewusstlos gewesen.
    „Wieso sind Sie hier?“, fragte sie Morse.
    „Ich habe den Aufprall gehört und angerufen. Nachdem Sie nicht abhoben, bin ich nachsehen gegangen. Ich wollte einen Arzt rufen, aber alle Leitungen sind tot. Der Sturm muss sie zerfetzt haben.“
    Erst jetzt wurde Abby gewahr, dass draußen der Wind heulte und in den Fensterläden wütend klapperte. Der Regen klatschte in Wellen dagegen.
    „Helfen Sie mir bitte auf“, sagte Abby.
    Morse fasste sie unter den Achseln und zog sie auf die Beine.
    „Sie sollten sich hinlegen, Miss.“
    „Keine Zeit. Ich muss weg.“
    Seine Augen erreichten die Größe von Tischtennisbällen. „Da können Sie nicht raus. Der Sturm tobt gewaltig.“
    „Ich muss aber.“
    Ja, das musste sie und zwar so schnell wie möglich. Jean war vergiftet worden, daran hatte sie keinen Zweifel. Sein schlechtes Aussehen, das hohe Fieber.
    Warum ist mir nichts aufgefallen, warf sich Abby stumm vor. Alle Anzeichen waren da, aber ich habe sie nicht gesehen.
    Die andere Seite, der unbekannte Feind, hatte zugeschlagen und nicht sie, sondern Jean war das Ziel gewesen. Es war so logisch, dass sich Abby hätte ohrfeigen können. Wenn sie ihr Jean wegnahmen, war sie wie ein Körper, dem man die Gliedmaße

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