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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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scharlachrot. Sein gesträhntes Haar wehte locker auf seine Schultern, so daß sein Gesicht weicher wirkte. »Du willst nicht bleiben?«
    »Ich kann nicht.«
    »Ich hatte gehofft...«
    »Stünden die Dinge anders, wäre ich vielleicht geblieben.«
    »Sie waren voller Furcht. Kannst du ihnen nicht verzeihen?«
    »Ich kann ihre Schuld nicht ertragen. Was sie taten, war mein Fehler. Ich hatte gesagt, daß er ihnen nichts antun könne, aber sie sahen seine Zähne, und sie wußten nicht, daß sein Biß nur Träume spendete und den Tod erleichterte. Sie konnten es nicht wissen, ich habe sie zu spät richtig verstanden.«
    »Du hast selber gesagt, daß du nicht alle Sitten und alle Arten Furcht in dieser Welt kennen kannst.«
    »Ich bin nun in gewisser Weise verkrüppelt«, sagte sie. »Ohne Gras kann ich einen Menschen nicht heilen, vermag ich nicht zu helfen. Wir haben nur wenige Traumschlangen. Ich muß heimkehren. Vielleicht verzeihen meine Lehrer mir meine Dummheit, aber ich fürchte mich davor, ihnen unter die Augen zu treten. Den Namen, den ich trage, verleihen sie selten, aber mir haben sie ihn gegeben, und nun dürften sie enttäuscht sein.«
    »Laß mich mit dir ziehen.«
    Sie wünschte sich das; zögerte und verfluchte sich für diese Schwäche. »Es kann sein, daß sie mich verstoßen, mir Dunst und Sand fortnehmen, und dann wärst auch du ein Ausgestoßener. Bleib hier, Arevin.«
    »Es wäre mir gleichgültig.«
    »Das wäre es nicht. Nach einer Weile würden wir einander hassen. Ich kenne dich nicht, und du kennst mich nicht. Wir brauchen Ruhe, Stille und Zeit, um einander verstehen zu lernen.«
    Er trat zu ihr und schlang seine Arme um sie; für einen Moment standen sie so zusammen. Als er den Kopf hob, weinte er.
    »Bitte kehre zurück«, sagte er. »Was auch geschieht, kehre zurück.«
    »Ich will es versuchen«, sagte Schlange. »Halte im nächsten Frühling, wenn die Winde verstummen, nach mir Ausschau. Und im Frühling danach, sollte ich nicht gekommen sein, vergiß mich. Wo ich dann auch sein werde – falls ich lebe –‚ vergesse ich auch dich.«
    »Ich werde nach dir ausschauen«, sagte Arevin; mehr versprach er nicht.
    Schlange ergriff die Zügel des Ponys und trat ihren Weg durch die Wüste an.
     

2
    Dunst zeichnete sich als weißer Streifen gegen die Finsternis ab. Die Kobra zischte und schaukelte, und Sand begleitete sie mit seiner Warnklapper. Da vernahm Schlange den Hufschlag, von der Wüste gedämpft, und gleich darauf spürte sie ihn in ihren Handflächen. Sie klatschte eine Hand auf den Untergrund; plötzlich saugte sie den Atem ein und stöhnte: Rings um den Schlangenbiß war ihre Hand von den Fingerknöcheln bis zum Gelenk schwarzblau verfärbt. Nur an den Rändern war der Bluterguß inzwischen verblaßt. Sie senkte die Hand, die nun merklich schmerzte, in ihren Schoß und klopfte zweimal mit der Linken auf den Grund. Sands Klappern verlor seine nahezu rasende Heftigkeit, und der Diamantenrücken glitt von einem behaglichen Sims schwarzen Vulkangesteins herüber.
    Erneut pochte Schlange zweimal auf den Untergrund. Die Vertrautheit des Zeichens besänftigte Dunst, als sie die Schwingungen spürte, und sie ließ ihren Leib langsam herabsinken, ihre Kapuze erschlaffen. Der Hufschlag verstummte.
    Schlange vernahm Stimmen aus dem Lager in einiger Entfernung am Rand der Oase, einer dichten Ansammlung von Zelten, die sich in ihrer Schwärze vor ihrem Hintergrund aus schwarzen Felserhebungen kaum wahrnehmen ließen.
    Sand schlang sich um ihren Unterarm, und Dunst kroch empor auf ihre Schultern. Gras hätte um ihr Handgelenk oder wie ein smaragdenes Halsband um ihre Kehle gewunden sein sollen, aber Gras war nicht zur Stelle. Gras war tot.
    Der Reiter lenkte sein Pferd näher. Das kärgliche Licht biolumineszenter Laternen und der Schein des von Wolken verhangenen Mondes glitzerten auf zahllosen Tröpfchen, als das braune Tier durch die flachen Tümpel der Oase platschte. Es atmete mit schweren Schnauflauten durch geblähte Nüstern. Die Zügel hatten in seinem Nacken Schweiß in Schaum verwandelt. Feuerschein flackerte scharlachrot auf dem goldgelben Zaumzeug und erhellte des Reiters Gesicht.
    »Heilerin?«
    Sie stand auf. »Mein Name ist Schlange.«
    Vielleicht besaß sie nicht das Recht, den Namen noch länger zu tragen, aber sie wollte nicht auf ihren Kindesnamen zurückgreifen.
    »Ich bin Merideth.« Der Reiter sprang vom Pferd und kam heran, blieb jedoch stehen, als Dunst den Kopf

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