Traumschlange
verlassen haben. Niemals zuvor hatte sie eine so ruhige, nüchterne Trennung erlebt, und das obendrein zwischen einem Vater und seinem Kind...
Gabriel erschien unter der Tür, und Schlange trat wortlos ins Schlafzimmer.
»Ich habe mir‘s anders überlegt«, sagte der Bürgermeister. »Vorausgesetzt«, fügte er hinzu, als habe er bemerkt, wie überheblich er daherredete, »du bist noch bereit, mich zu behandeln.«
»Ich werde die Behandlung durchführen«, erklärte Schlange und verließ ohne weitere Worte den Raum. Bestürzt folgte ihr Gabriel hinaus.
»Ist irgend etwas nicht in Ordnung? Du meinst es doch ernst?«
Gabriel wirkte gelassen und durchaus nicht gekränkt. Schlange blieb stehen.
»Ich habe ihm Hilfe versprochen. Ich werde sie ihm gewähren. Ich brauche ein Zimmer und ein paar Stunden Zeit, bevor ich anfangen kann.«
»Wir stellen dir alles zur Verfügung, was du willst.«
Er führte sie durch den obersten Korridor bis in den Südturm. Dieser Turm umfaßte nicht bloß einen großen Prunkraum, sondern war in mehrere kleine Räume unterteilt, die weniger eindrucksvoll waren als die Zimmer des Bürgermeisters, dafür jedoch behaglicher.
Schlanges Zimmer war ein Abschnitt des Turmdurchmessers. Der rundwandige Saal hinter den Gästezimmern umfaßte ein zentrales Gemeinschaftsbad.
»Es ist fast Zeit zum Abendessen«, bemerkte Gabriel, als er ihr das Zimmer zeigte. »Möchtest du mit mir essen?«
»Nein, danke. Diesmal nicht.«
»Soll ich dir etwas aufs Zimmer bringen?«
»Nein. Komm lediglich in drei Stunden wieder.«
Sie schenkte ihm wenig Beachtung, weil sie sich nicht mit seinen Problemen befassen durfte, während sie den Eingriff an seinem Vater vorbereitete. Geistesabwesend erteilte sie ihm einige Anweisungen bezüglich der Dinge, die man im Schlafzimmer des Bürgermeisters bereithalten solle. Da die Entzündung bereits so schlimm war, mußte sich die Arbeit schmutzig und stinkig gestalten. Nachdem sie ihm alles erklärt hatte, ging er noch immer nicht.
»Er hat so starke Schmerzen«, sagte Gabriel. »Hast du nichts, um sie zu lindern?«
»Nein«, antwortete Schlange. »Aber es kann ihm nicht schaden, wenn er sich betrinkt.«
»Betrinkt? Na gut, ich will‘s damit versuchen. Aber ich bezweifle, daß das etwas nutzt. Ich habe ihn noch nie vom Trinken ohne Besinnung gesehen.«
»Die Betäubungswirkung ist zweitrangig. Alkohol unterstützt den Kreislauf.«
»Oh.«
Sobald Gabriel fort war, verabreichte Schlange Sand eine Droge, um ein Gegenmittel zur Wundbrandbekämpfung herzustellen. Das neue Gegengift würde selbst eine gewisse örtliche Betäubung bewirken, aber der Nutzen mußte gering bleiben, bis Schlange die Wunde entleert hatte und sein Kreislauf wieder besser in Gang war; sie freute sich nicht unbedingt darauf, ihm Schmerzen bereiten zu müssen, aber sie bedauerte es nicht so sehr wie zuvor bei anderen Patienten, in deren Fällen es sich als unvermeidbar erwiesen hatte. Sie streifte die staubigen Wüstengewänder ab und stieg aus den Stiefeln, die dringend der Lüftung bedurften.
Ihre neue Kleidung hatte sie ans Bettzeug geschnallt, und derjenige, der ihre Sachen heraufbrachte, hatte die Kleidungsstücke für sie ausgebreitet. Sie freute sich darauf, wieder die Art von Kleidung anzuziehen, welche sie gewöhnt war, aber es würde lange dauern, bis sie so bequem abgetragen waren wie die alten Stücke, die der Verrückte in Fetzen verwandelt hatte. Das Bad war durch Gaslampen gedämpft beleuchtet. Die meisten Gebäude von dieser Größe verfügten über eigene Methangeneratoren. Diese Generatoren – es gab sie sowohl als Gemeindeeigentum wie auch in Privatbesitz – verwendeten Müll, Abfälle und auch menschliche Abfallprodukte als Substrat für eine bakterielle Brennstofferzeugung. Mit einem solchen Generator und den Solarzellenfeldern unterhalb des Daches war das Haus wahrscheinlich zumindest in der Energieversorgung eigenständig. Vielleicht erlangte essogar genug Überschuß, um einen Wärmeableiter zu betreiben. Wenn es im Sommer so heiß war, daß die natürliche Isolierung durch die Mauersteine nicht ausreichte, konnte man das Gebäudeinnere damit kühlen.
Die Niederlassung der Heiler besaß ähnliche Versorgungsmöglichkeiten, und Schlange war es nicht unlieb, dergleichen auch hier vorzufinden und die Vorteile nutzen zu dürfen. Sie füllte das tiefe Becken mit heißem Wasser und schwelgte ausgiebig darin. Die parfümierte Seife empfand sie gegenüber dem schwarzen Sand
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