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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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ein, denen sie nicht dauerhaft zu helfen vermochte, so wie Grum mit ihrer Arthritis. Ihr Glück hielt an, denn obwohl sie einige Patienten mit schweren Infektionen und Tumoren und sogar ein paar Fälle ansteckender Erkrankungen behandelte, befand sich darunter kein Todkranker. Die Bewohner Berghausens waren fast so gesund wie schön. Den Nachmittag verbrachte sie mit ihrer Tätigkeit in einem Raum im Erdgeschoß des Gasthauses, worin sie ursprünglich zu logieren gedacht hatte. Es war in der Mitte des Ortes gelegen, und die Wirtin hieß sie willkommen. Am Abend führten endlich die letzten Eltern das letzte verheulte Kind aus dem Zimmer. Schlange wünschte, Pauli wäre zur Stelle gewesen, um den Kindern Witze und Geschichten zu erzählen, während sie sich auf dem Stuhl zurücklehnte, sich rekelte und gähnte, sich dann zusammensinken ließ, die Arme noch nach hinten gebogen, den Kopf zurückgeworfen, die Augen geschlossen. Siehörte das Öffnen der Tür, Schritte, das Schleifen eines langen Kleids am Fußboden und roch den aromatischen Duft heißen Kräutertees.
    Schlange setzte sich auf, als Lainie, die Wirtin, ein Tablett auf den Tisch schob. Lainie war eine hübsche, heitere, recht stämmige Frau in mittlerem Alter. Sie nahm am Tisch Platz, goß Tee in zwei Becher und reichte einen davon Schlange.
    »Danke.« Schlange atmete den Dampf ein.
    Ein paar ruhige Augenblicke lang tranken sie stumm ihren Tee; schließlich brach Lainie das Schweigen.
    »Ich bin froh, daß du in unseren Heimatort gekommen bist«, sagte sie. »Es war schon zu lange kein Heiler in Berghausen.«
    »Ich weiß«, sagte Schlange. »Wir können nicht allzu oft so weit in den Süden kommen.« Sie überlegte, ob Lainie wissen mochte, daß das Problem nicht allein die Entfernung war, die zwischen Berghausen und der Niederlassung der Heiler lag.
    »Wenn sich hier ein Heiler niederließe«, sagte Lainie, »wäre unsere Gemeinde in ihrer Dankbarkeit sehr freigebig. Ich bin sicher, daß der Bürgermeister dich in dieser Angelegenheit noch ansprechen wird, sobald es ihm besser geht. Ich bin im Rat, und ich kann dir versichern, daß sein Vorschlag Unterstützung findet.«
    »Danke, Lainie. Ich werde daran denken.«
    »Dann würdest du also bleiben?«
    »Ich?«
    Überrascht starrte sie in ihren Tee. Ihr war gar nicht in den Sinn gekommen, daß Lainies Worte unmittelbar an sie gerichtet sein könnten. Berghausen war mit seinen schönen, gesunden Einwohnern ein Ort, wo ein Heiler sich nach einem Leben schweren Wirkens zur verdienten Ruhe setzen mochte, wo jemand in den Ruhestand gehen konnte, der nicht zu lehren wünschte.
    »Nein, ich kann nicht bleiben. Ich ziehe am Morgen weiter. Aber wenn ich wieder daheim bin, werde ich die anderen Heiler von eurem Angebot unterrichten.«
    »Bist du sicher, daß du nicht bleiben möchtest?«
    »Ich kann es nicht. Ich bin nicht reif und erfahren genug, um eine solche Stellung antreten zu dürfen.«
    »Und du mußt morgen fort?«
    »Ja. In Berghausen gibt‘s wirklich wenig zu tun. Insgesamt seid ihr hier viel zu gesund.« Schlange lächelte breit. Lainie lächelte ebenfalls, aber flüchtig, und ihre Stimme blieb ernst.
    »Falls du dich zum Gehen gehalten fühlst, weil deine gegenwärtige Unterkunft...« Sie zögerte. »Weil du eine Unterkunft brauchst, die sich zur Abwicklung deiner Arbeit besser eignet, steht mein Gasthaus dir jederzeit offen.«
    »Danke. Bliebe ich länger, so würde ich tatsächlich umziehen. Ich könnte die Gastfreundschaft des Bürgermeisters nicht länger... mißbrauchen. Aber ich muß wirklich weiter.«
    Sie musterte Lainie, die erneut lächelte. Sie verstanden einander.
    »Bleibst du über Nacht?« fragte Lainie. »Du mußt müde sein, und es ist ein weiter Weg.«
    »Oh, der Ritt ist angenehm«, sagte Schlange. »Erholsam.«
     
    Schlange ritt durch Straßen, in die Dunkelheit herabgesunken war, zum Wohnsitz des Bürgermeisters, und der rhythmische Klang von Winds Hufschlag bildete die Begleitmusik zu ihren Träumen. Sie döste, während die Stute dahinstrebte.
    Die Wolken waren heute abend hoch und dünn; der im Abnehmen begriffene Mond warf Schatten auf die Pflastersteine. Plötzlich hörte Schlange auf dem Pflaster Stiefelabsätze knirschen. Wind brach mit einem Ruck nach links aus. Schlange griff zugleich nach der Mähne und dem Sattelknopf, im ersten Moment aus dem Gleichgewicht gebracht, und versuchte wieder festen Halt im Sattel zu bekommen. Jemand packte ihr Kleid und zerrte daran,

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