Traumtagebuecher
dass er einfach davonfuhr. Tat er nicht. Er öffnete mir – ganz Gentleman – die Tür. Ich stieg ein und war überrascht, weil das Innenleben des Autos meiner Charakterisierung von Jonah komplett widersprach. Sauber, mit einer hellen Lederverkleidung und ansonsten in Dunkelrot gehalten, sah der Kleinwagen extrem teuer und gepflegt aus. Ich sah nach vorne und versuchte zu ergründen wie extrem das Teuer war.
»Was ist das für ein Auto?«
»Ein Trabant.«
»Ein Was?«
»Trabant, Trabi. Aus der DDR.« Nach einem längeren Schweigen fügte er »Ostdeutschland« hinzu.
»Oh.« Mehr fiel mir dazu nicht ein. Ich kannte Deutschland, hatte aber keine Ahnung, ob ein Trabant gut oder schlecht, teuer oder billig war.
Zum Glück füllte Jonah das Schweigen und meinte: »Die Innenausstattung und einige Extras sind aber Made-in-US und echt Jonah.«
Ich wagte einen Seitenblick. Er baute Autos um? Ganz neue Einblicke. Nachher enttäuschte er mich doch noch und war ein ganz gewöhnlicher Junge mit ganz gewöhnlichen Hobbies. Ich lachte leise in mich hinein. Bestimmt. Und den Weihnachtsmann gab es auch.
Während ich mich anschnallte, sah ich zu, wie Jonah sein Radio umstellte auf CD. Die ersten Takte von »Bad Things« schollen aus den vermutlich teuren Boxen. Woha … hoffentlich war das keine Anspielung. Ich mochte Jace Everett wirklich gerne, aber dann doch eher »Your man« … äh … hups … in diesem Zusammenhang ein ganz schlechter Gedanke … ich sollte vergessen, dass ich überhaupt irgendetwas in dieser Richtung gedacht hatte.
Ein Unterfangen, das sich als unglaublich schwer erwies, da Jonah bei jedem Abbiegen einen Moment länger in meine Richtung sah als notwendig. Obwohl es mich störte, starrte ich stur geradeaus und schwieg. Auf keinen Fall wollte ich ein Gespräch mit ihm führen oder ihn ansehen. Dafür kreisten im Moment zu viele Gedanken auf einmal in meinem Kopf herum. Zu viele ungelöste Rätsel, die ihn betrafen. Aber ehrlich? Ich war ernsthaft versucht, ihn ebenfalls anzustarren. Schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass ich im Auto meines Lieblingsfeindes nach Hause fuhr. Meinen Prinzen, der mich vor der Dunkelheit und meinen Alpträumen rettete, hatte ich mir immer anders vorgestellt. Okay, optisch war schon alles dran, was ich lecker fand … Moment mal, dachte ich etwa schon wieder in dieser Kategorie? Was war los mit mir? Das musste am Wetter liegen, diese warm-schwüle Luft konnte mit den Hormonen die seltsamsten Dinge anstellen. Ja, dass musste es sein.
Bei Kilometer drei und der was-weiß-ich-wievielten Kurve lenkte ein Fußgänger meine Aufmerksamkeit auf sich. Unglaublich, dass er nicht nur im Klassenraum und der Aula so selbstsicher aussah, sondern auch, wenn er zu Fuß nach Hause stapfte. Elijah wirkte, als mache ihm weder das drohende Unwetter, noch die Dunkelheit oder der Weg etwas aus. Ich starrte an Jonah vorbei und nach schräg hinten, um den frischgewählten Stufensprecher länger sehen zu können. Egal, was Elijahs Grundeinstellung zum Leben im Großen und Ganzen und zu den Frauen im Speziellen betraf, er war schon eher ein weißer Ritter – wenn er grade nicht damit beschäftigt war, alle Mädchen der Schule rumzukriegen. Trotz dieser deprimierenden Überlegung konnte ich meinen Blick nicht von ihm lösen. Beim besten Willen nicht.
»Was ist?« Jonah riss mich aus meinen Gedanken, und ich sah ihn genau in dem Moment an, in dem er sich umdrehte und schaute, was meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Unwillkürlich folgte ich Jonahs Blick, doch Elijah war bereits verschwunden. Von den Schatten geschluckt.
Der Schmerz kam von der Verspannung. Eine Erkenntnis, die ihn kein bisschen linderte. Im Gegenteil. Schließlich konnte ich mich nicht einfach aus der Erstarrung lösen und plötzlich doch nach links oder rechts schauen. Zumindest nicht, ohne mir ausgerechnet vor Jonah eine Blöße zu geben. Ich hatte keine Angst, keine Probleme und keine Schmerzen. Basta. Also beschränkte ich mich weiter darauf, stur geradeaus zu sehen. Deswegen sah ich Klaus und Meg auch eine Sekunde vor Jonah.
Die beiden standen vor dem großen Einfamilienhaus und redeten auf eine dritte Person ein, die aus dem roten Jeep gestiegen sein musste, der vor dem Haus parkte. Da die Person zwischen ihrem Auto und meinen Stiefeltern gefangen war, konnte ich nur vermuten, dass die hektischen Gesten dem unbekannten Besucher galten.
Ich irrte mich. Sowohl in dem unbekannt als auch in der Vermutung, wem die
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