Traumtagebuecher
machte Jonah auf diesem Foto und wieso hielt er mit einem triumphierenden Lächeln meine Uhr in der Hand?
Ich öffnete meine Nachttischschublade und verharrte reglos. Die Uhr war fort. Stattdessen war die Schublade mit Finsternis gefüllt, mit einer Dunkelheit, die so schwarz war, dass sie das Licht im Zimmer absorbierte und langsam über die Ränder ihres geöffneten Gefängnisses strömte – wie Nebel oder ein unglaublich düsteres Lebewesen. Noch während ich versuchte zu begreifen was geschah, verwandelte sich auch das Foto. Die Linien wuchsen aus dem Bild hervor, drangen in die Realität und breiteten sich dort weiter und weiter aus, tentakelgleich.
»Ein Traum.« Natürlich. Jetzt sah ich mich sogar von außen. Aber warum wich mein Körper trotzdem weiter zurück?
Ohne meine aktive Kontrolle über das Geschehen, wuchs die Finsternis in meinem Zimmer, kam aus den Fugen, den Wänden, breitete sich weiter und weiter aus und es half nicht, dass das zitternde Mädchen, das inzwischen mit dem Rücken zur Wand stand, eingekesselt von den Schatten, ängstlich die Augen schloss.
»Es ist ein Traum und das passiert nicht wirklich. Du siehst dich sogar von außen und …« Natürlich war ich genau in diesem Moment wieder in meinem Körper, riss die Augen weit auf und sah nur noch Finsternis um mich herum. Undurchdringliche Finsternis in alle Richtungen. Ich konnte nicht einmal mehr mit Gewissheit sagen, wo oben und unten waren, wo ich begann und der Rest des Traumes anfing.
Geräusche waren zu hören, ein Klippediklapp. Wie Hufschläge eines Pferdes. Etwas blies mir ins Gesicht. Atem? Ich weigerte mich, meine Augen zu schließen, wollte sehen, welcher Albtraum vor mir stand, konnte aber nichts erkennen. In der Gewissheit, in einem Traum zu sein und abgehärtet von den Nachtmahren der letzten Jahre, streckte ich langsam meine Hand aus. Immer darauf gefasst, das warme, eklig haarige Fell eines Pferdes zu berühren, war ich überrascht, dass sich meine Finger um kaltes Metall schlossen. Ich öffnete die Augen.
Dieses Mal wirklich.
Die Taschenuhr. Ich hielt sie in der Hand und starrte instinktiv das hässliche Pferd auf dem Deckel an. Aber was mich wirklich schockierte, war die Tatsache, dass das Huf-Klippediklapp nichts anderes gewesen war, als das rhythmische Ticken der Uhr. Sie funktionierte!
Kurz war ich versucht, mich selbst zu ohrfeigen, um zu sehen, ob ich ein Traum-in-Traum-Erlebnis hatte, entschied mich aber gegen das Eigen-Schmerz-Zufügen. Außerdem war mein Mund so trocken, wie er es nur in der Wirklichkeit sein konnte. Kaum hatte ich diesen Fakt bemerkt, wurde mein Durst noch schlimmer. Ich ging ins Bad und trank einen Schluck Kranwasser – und noch einen und noch einen. Trotzdem hatte ich das Gefühl zu verdursten.
Wasser war einfach nicht genug. Ich hatte Colaschmacht. Dabei mochte ich Cola eigentlich gar nicht. Aber uneigentlich fühlte ich mich, als müsste ich zusammenklappen, wenn ich nicht innerhalb der nächsten Minuten Zucker in meinen Kreislauf bekam.
Ohne groß nachzudenken öffnete ich die Tür zum Flur – und stand vor einer Mauer aus Finsternis. Ein gequältes Geräusch schreckte mich auf. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass der leise Schrei aus meiner eigenen Kehle gekommen war. Zwischen mir und einer eiskalten Cola lag der dunkle Flur. Und ich konnte kein Licht anmachen, da Klaus wie immer im Wohnzimmer schlief. Wer wollte schon seinen schlecht gelaunten Onkel mitten in der Nacht wecken? Ich jedenfalls nicht.
Aber das Durstgefühl wurde noch schlimmer, es trieb mich aus meinem Zimmer und die dunkle Treppe nach unten. Erst nach wenigen Schritten – als die Nacht nicht auf meine Anwesenheit in ihrer Mitte reagierte – wurden meine Bewegungen etwas sicherer. Leise schlich ich in die Küche, holte die Coke aus dem Kühlschrank und trank den Inhalt der halbleeren Flasche in gierigen Zügen aus. Zucker, Geschmack und Kälte schienen etwas Rastloses in meinem Inneren zu befriedigen. Wahrscheinlich meine Einbildungskraft.
Zufrieden trat ich den Rückweg an und deponierte das leere Plastikgefäß im Flaschenkorb, um sie gleich am nächsten Morgen zum restlichen Leergut in den Keller bringen zu können. Dabei warf ich einen Blick in das Zimmer schräg gegenüber. Wie immer schlief Klaus auf der Couch. Vergraben unter einem Haufen Kissen und Decken und geschützt vor Tante Meg und ihrer fordernden Liebe.
Kapitel 8
Nach dem Albtraum-Desaster hatte ich so gut geschlafen, wie
Weitere Kostenlose Bücher