Traumzeit
Stephens Gesicht so glich, die Enttäuschung zu sehen, wenn sie ihm die Wahrheit gesagt hätte. Es war ihr nicht gelungen, die Worte auf der Urkunde zu entziffern. Vermutlich würde das überhaupt nicht möglich sein, Bowman’s Creek klang überzeugend. Und was konnte es schließlich schon ausmachen, daß sie den Namen erfunden hatte, und daß Hugh Westbrook glaubte, es gebe einen solchen Platz? Was war schon dabei, daß sie auch Durrebar erfunden hatte? Als er lächelte, hatte er genau wie Stephen gelächelt …
3
Ein Geheimnis, dachte Frank Downs. Er stand am Fenster und blickte über Melbourne. Das ganze Land ist ein einziges Geheimnis. Er befand sich in seinem Turm hoch über der Stadt und blickte über Dächer, Brücken und Fabrikschornsteine. Frank dachte dabei an das endlose Hinterland an den Busch in der Ferne. Dort gibt es so viele Geschichten, dachte er, so viele Abenteuer und spannende Ereignisse. Deshalb hatte er sich dem Zeitungswesen verschrieben. Er wollte am Puls dieses geheimnisvollen Kontinents sein. Frank wußte, was die Leute lesen wollten. Sie alle hatten eine Ader für ›eine gute Geschichte‹. Ob am Lagerfeuer im Busch oder in den Wohnzimmern von Melbourne, nichts verschaffte einem Australier größeres Wohlbefinden als eine spannende Geschichte. Und die
Times
lieferte sie. Da in den Kolonien inzwischen Schulpflicht bestand, sah Frank in den beiden nächsten Jahrzehnten eine neue Generation Leser heranwachsen, junge, gebildete Menschen. Sie würden Unterhaltung suchen. Die Melbourne
Times
sollte sie ihnen durch den Einsatz und die kreativen Ideen von Frank Downs liefern.
Frank hatte die Zeitung vor vier Jahren für zweitausend Pfund gekauft. Er hatte sich viel einfallen lassen, um sie vor dem Untergang zu retten, und er hatte sie inzwischen in eine sehr beliebte Tageszeitung verwandelt. Frank liebte Neuerungen und Erfindungen. Als er die
Times
übernahm, stellte er fest, daß seine Zeitung als letzte mit den Nachrichten auf den Straßen erschien. Er wußte, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, mußte er Wege finden, die Neuigkeiten vor allen anderen zu veröffentlichen. Frank hatte die Idee, seine Reporter mit schnellen Booten den einlaufenden großen Schiffen entgegenzuschicken. Dort kauften sie von Reisenden und der Mannschaft englische Zeitungen, eilten damit in die Stadt zurück, und Frank druckte ›Extraausgaben‹, wobei er die Artikel der englischen Zeitungen Wort für Wort übernahm. Als seine Konkurrenten anfingen, es ihm gleichzutun, hatte Frank eine neue Idee. Er schickte seine Reporter nach Adelaide. Sie gingen auf die Schiffe, bevor sie nach Melbourne kamen. Seine Leute lasen dort die englischen Zeitungen und telegrafierten der
Times
die wichtigsten Nachrichten. Bald arbeiteten Reporter der anderen Zeitungen ebenfalls in Adelaide. Und als Frank die
Times
den Lesern auf dem Land mit der Post zustellen ließ, als seine Ausgaben per Bahn und mit den schnellen Postkutschen von Cobb & Co befördert wurden und damit die nachrichtenhungrige Landbevölkerung als zuverlässige Leser erschloß, folgten
Age
und
Argus
sehr schnell seinem Beispiel.
Franks Erfolg spiegelte sich im Times Tower wider, dem höchsten Gebäude von Melbourne. Es hatte unglaubliche fünf Stockwerke, ragte hoch über die ungepflasterten Straßen in den Himmel, und hinter jedem Fenster brannten Gaslampen. Sein Hochhaus wirkte an diesem nebligen Abend im April wie ein Leuchtturm. Franks Büro befand sich im obersten Stockwerk. Seine Kollegen hatten gelacht, als er dort ›oben bei den Kakadus‹ einzog. Man wußte doch, wie unbequem es war, die vielen Stufen hinaufzusteigen. Männer in führenden Positionen wie Franks Geschäftsfreunde, zum Beispiel die Bankiers, hatten ihre Büros immer im Erdgeschoß. Es war verrückt, in einem Haus nach
oben
zu müssen! Aber Frank begeisterte sich immer für das Neue. Er hatte das Haus mit einem großen Fest eröffnet und seine Freunde in einem dampfgetriebenen Aufzug hinauf in sein Büro gebracht!
Während er jetzt am Fenster stand und über das mit Gaslaternen beleuchtete Melbourne blickte, dachte Frank an die Maschinen seiner Zeitung, die unter seinen Füßen arbeiteten. Die dampfbetriebenen Druckmaschinen standen Tag und Nacht nicht still. Beinahe einhundert Setzer saßen an ihren Setzkästen und bereiteten die Artikel der morgigen Ausgabe Buchstabe für Buchstabe in lange Metallkolumnen auf. In den Redaktionsbüros herrschte große Geschäftigkeit. Boten
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