Traumzeit
unten am Fluß«, erwiderte Peony. »Mr. Westbrook war hier und hat gesagt, es gibt ein schweres Gewitter.«
»Es wird nicht mehr lange dauern«, erwiderte Joanna. Sie zog das Umschlagtuch fest um die Schultern und ging zur Tür.
»Darf ich mitkommen?« fragte Adam.
Joanna erwiderte: »Du bleibst hier und leistest Sarah und Peony Gesellschaft.«
Sie lief den Weg zum Fluß hinunter und fröstelte, als sie die Blitze am Horizont sah. Sie betrachtete den grauen Winterhimmel und staunte wieder einmal darüber, daß dies Wetter im Juni möglich war. In Indien befanden sich die englischen Damen bereits in den Bergen, um der alljährlichen Sommerhitze zu entfliehen. Aber hier im Westen Victorias war Winter.
Joanna erreichte die Lichtung. Im See spiegelten sich die bleigrauen Wolken. Sie hielt Ausschau nach Hugh und Philip McNeal. Durch die Bäume hindurch sah sie die beiden im Dämmerlicht. Sie begutachteten die Betonfundamente für das neue Haus. Hugh, Joanna und McNeal hatten sich für einen Bauplatz entschieden, der weit genug von den heiligen Felsen entfernt war, um keine Geister zu stören, und an dem das Haus auch sicher vor Überschwemmungen war. Sie, hatten keinen einzigen Baum fällen müssen, um Platz für den Neubau zu schaffen. Maude Reed hatte Joanna einmal erzählt: »Als wir unser Haus gebaut haben, ließen wir alle diese widerwärtigen Eukalyptusbäume roden und haben ordentliche englische Weiden und Ulmen gepflanzt.«
Joanna blieb stehen und beobachtete einen Augenblick, wie ihr Mann sich mit McNeal unterhielt.
Hugh trug keinen Hut. Der Wind fuhr ihm durch die Haare. Stiefel und Hose waren vom Schlamm verspritzt. Er hatte die Hemdsärmel aufgerollt, und Schlamm klebte auch auf den nackten Armen. Wie sehr unterscheidet sich Hugh von anderen Schafzüchtern, dachte Joanna. Die anderen schienen das Bedürfnis zu haben, der Welt zu zeigen, wie reich sie waren. Selbst wenn sie zu ihren Herden ritten oder auf der Landwirtschaftsausstellung ihre wertvollsten Tiere vorführten, wirkten John Reed, Colin MacGregor und alle anderen wie englische Landedelmänner, die der Natur dabei nicht näher kamen als beim Krocket.
Würden ihre Gefühle sich einmal ändern? fragte sie sich. Würde die Erregung einmal ausbleiben, wenn sie ihn sah, das Erbeben in seiner Nähe, wenn er abends von den Schafherden kam, wenn er unerwartet in der Tür erschien, wenn der Wind ihr seine Stimme zutrug. Würde das Verlangen nach ihm je nachlassen? Nein, das darf nicht sein, flehte sie innerlich. Es soll immer so bleiben wie jetzt …
Joanna rief seinen Namen, aber ein Donnerschlag über den Bergen übertönte ihre Stimme. Kurz darauf zuckten neue Blitze über den Himmel.
»Hugh!« rief sie noch einmal.
Er drehte sich um und lächelte. Philip McNeal hob grüßend die Hand.
»Sei vorsichtig«, sagte Hugh, als Joanna über die betonierte Schwelle trat. Er breitete die Arme aus, und Joanna drückte sich an ihn. Bitte, dachte sie, als er sie küßte, so soll es immer sein …
»Ich bin froh, daß du wieder da bist«, sagte er, »ich habe mir schon Sorgen gemacht. Ich hätte dir bald jemanden entgegengeschickt. Philip und ich überzeugen uns gerade davon, daß hier alles in Ordnung ist. Der Himmel gefällt mir nicht. Paß auf, daß du nicht stolperst!« Er nahm Joanna an der Hand. Auf dem Beton lagen Werkzeuge, Steine und abgesägte Bretter. Einer der Arbeiter hatte seinen halbvollen Teekessel in einer Ecke stehen lassen.
Sie betraten das künftige Wohnzimmer. Ein dunkler Schatten legte sich über das Land. Hugh fragte: »Was meint Polly Gramercy?«
»Sie sagt, es ist alles in Ordnung. Ich habe etwa noch fünf Monate.«
»War etwas in der Post?« fragte er.
Joanna dachte an den Brief von Tante Millicent, die ihre Bitte um mehr Auskünfte über die Kindheit ihrer Mutter sehr kurz und klar beantwortet hatte. »Deine arme Mutter ist tot«, schrieb Millicent, »laß sie in Frieden ruhen.«
Der Wind wurde stärker und kräuselte das Wasser im Fluß. Hugh musterte den Himmel und murmelte: »Das Gewitter kann jeden Augenblick losbrechen. Es wird für die Männer draußen bei den Schafen eine lange Nacht werden.«
»He!« hörten sie jemanden rufen. »He da! Hugh!«
Eddie, ein Mischling, ritt auf sie zu. Er galoppierte und schwenkte den Hut. »Hugh! Sie müssen schnell mitkommen!«
Hugh lief ihm entgegen. »Was gibt es, Eddie?«
»Mein Gott, Hugh, es ist schrecklich! Der Blitz ist in einen Baum eingeschlagen. Die Schafe sind in
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