Traumzeit
Panik geraten!«
»Ruf die Männer alle dorthin.«
»Hugh«, sagte Eddie mit bleichem Gesicht, »die Herde ist durch den Nordzaun gestürmt, und wir können sie nicht aufhalten! Sie rennen in Richtung Fluß!«
»Joanna, geh zurück zum Haus«, bat Hugh und lief zu seinem Pferd. »Mr. McNeal, würden Sie bitte meine Frau zur Farm zurückbringen?«
Joanna und Philip sahen Hugh nach, der in die stürmische Dunkelheit galoppierte.
3
Hugh und Eddie ritten quer über die Weiden. Blitze zuckten in immer kürzerer Folge am Himmel. Ihre Pferde sprangen über die bis heute ausgetrockneten Wasserläufe, durch die bereits das Wasser schoß. Sie jagten an Bäumen vorüber, die der Wind fast an den Boden drückte. Als sie die nördliche Grenze erreichten, ging ein Wolkenbruch nieder, und Hugh bot sich ein Anblick, der ihm das Blut in den Adern erstarren ließ.
Tausende von Schafen rannten in panikartiger Flucht über die sturmgepeitschte Ebene. Männer auf Pferden versuchten vergeblich, sie wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Hirtenhunde bellten aufgeregt, während Blitze Erde und Himmel wie mit großen feurigen Schwertern zu spalten schienen.
»Warum zum Teufel ist der Zaun umgefallen?« rief Hugh, als er Draht-Larry erreichte.
»Die Herde hat ihn nicht umgeworfen, Hugh!« schrie Larry, um das Sturmgeheul zu übertönen. »Sehen Sie! Er ist auf diese Seite gefallen!«
Hugh ritt an dem umgestürzten Zaun entlang und sah, daß Larry recht hatte. Die Pfosten und der Maschendraht lagen in Richtung der Schafe. Und es war eindeutig nicht das Werk des Unwetters.
»Aber der Wald gehört doch Frank Downs!« rief Hugh. »Er hat den Zaun immer in Ordnung gehalten!«
Ein Mann namens Tom Watkins ritt auf sie zu. Das Regenwasser sammelte sich auf seiner Hutkrempe zu einem Wasserring und lief auf die Ölhaut. »Um Himmels willen, Hugh! Die Herde stürzt sich in den Fluß!«
Und dann begann der eigentliche Alptraum.
Im Rindenhaus verriegelten Joanna und Philip McNeal schnell die Fensterläden, während Peony starr vor Angst am Tisch saß und bei den ohrenbetäubenden Donnerschlägen zusammenzuckte. Sarah versuchte mit großer Ruhe, Adam abzulenken. Das Rindenhaus schien unter den Windstößen, die durch den Kamin fuhren, zu erzittern. Funken stoben auf und flogen durch den Raum. Der Läufer vor dem Herd fing Feuer, das Joanna schnell löschte. »Peony!« befahl sie. »Hol alle Teekessel aus der Vorratskammer. Wir brauchen viel Wasser, um Tee zu machen.«
Philip fragte besorgt: »Wird es Ihrem Mann gelingen, die Schafe zu retten?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Joanna und dachte an Geschichten über Männer, die versucht hatten, Schafe aus einem Fluß an Land zu ziehen.
Sie sah die angstvollen und bleichen Gesichter um sich herum. Sarah hielt Adam in den Armen, und Philip saß in ihrer Nähe. Ihnen wird nichts geschehen, dachte Joanna. Ich hatte keine Alpträume und keine Vorahnungen. Aber der nächste ohrenbetäubende Donnerschlag erinnerte sie an Hugh, der draußen mit den Elementen kämpfte und versuchte, die Schafe zu retten.
Sarah kam zu ihr. Sie blickte vorsichtig über die Schulter zurück und vergewisserte sich, daß die anderen sie nicht hörten. Dann flüsterte sie: »Heute abend ist ein böser Zauber am Werk.«
In diesem Augenblick spürte Joanna wieder die vertraute panische Angst. Sie kannte sie aus Alpträumen und von den hoffnungslosen Stunden während der Typhusepidemie. Damals hatte sie gehofft, daß ihre Befürchtung, sie sei der Grund für all das Leid, nur eine Wahnvorstellung war. Aber als sie jetzt in Sarahs Augen blickte, wußte sie, das Gift war wieder am Werk. Der Fluch schlug wieder einmal zu.
»Schlimme Dinge werden heute nacht geschehen«, sagte Sarah leise. »Männer werden verletzt. Jemand muß sterben. Die Regenbogenschlange ist zornig.«
Joanna sah sie mit aufgerissenen Augen an. »Warum die Regenbogenschlange, Sarah?«
»Weil die Schlange in der Traumzeit die Flüsse erschaffen hat, und jetzt gehorchen sie ihr.«
Joanna dachte an die Träume ihrer Mutter und an ihre Träume von der Riesenschlange mit dem einen funkelnden Auge. Hatte Lady Emily vielleicht zufällig etwas vom Fluch der Regenbogenschlange gehört? Beruhte die Angst auf etwas, das sich wirklich einmal ereignet hatte? War eine Schlange mit im Spiel gewesen?
»Ja«, Joanna nickte, während sie und Sarah sich ansahen. »Ich verstehe. Wenn es so ist, dann bereiten wir uns lieber vor.« Sie griff nach ihrer Arzttasche.
Weitere Kostenlose Bücher