Traumzeit
Kinder zu bekommen, dachte Pauline. Haben sie und ihr Mann sich so sehr geliebt? Oder irrte sich Maude Reed doch, wenn sie behauptete, Liebe sei notwendig, um ein Kind zu empfangen? Auch aus diesem Grund mußte Pauline immer wieder an John Prior denken, den Geschäftsmann aus Sydney.
Sie war in Melbourne gewesen und machte einen Einkaufsbummel bei Wallach’s, dem größten Kaufhaus am Ort, das von sich behauptete, man könne dort, angefangen von Hutbändern bis zu Gasöfen, alles finden. In der Abteilung für Herrenbekleidung sah sie plötzlich Hugh Westbrook, der gerade bei einem Verkäufer bezahlte. Es überraschte Pauline, ihn in Melbourne zu sehen. Sie spürte plötzlich die alte Faszination und die alte Sehnsucht nach ihm. Sie brachte es deshalb nicht über sich, weiterzugehen und ihn nicht zu beachten, was sie normalerweise hätte tun sollen. Hugh war der Gegner ihres Mannes, aber ihre alte Liebe für ihn war noch immer nicht erloschen. Sie verließ also das Warenhaus nicht, sondern ging geradewegs auf ihn zu, legte ihm die Hand auf den Arm und sagte so spöttisch wie möglich: »Du meine Güte, liebster Hugh, wie kommen denn deine vielen Schafe ohne dich aus?«
Er drehte sich um und sah sie erstaunt an. »Wie bitte?« Pauline bemerkte ihren Irrtum zu spät und starrte entsetzt zurück. Dann stammelte sie verwirrt: »Oh, Verzeihung! Ich … ich habe Sie mit jemandem verwechselt …«
Aber der Fremde, der Hugh so erstaunlich ähnlich sah, lachte freundlich. »Wie schön für ihn, wie schade für mich, Madam.« Und noch ehe sie weitergehen konnte, zog er den Hut. »John Prior, ich stehe zu Ihren Diensten.«
Pauline wußte nicht, weshalb sie wie angewurzelt stehenblieb. Der Anstand hätte verlangt, daß sie schnell weiterging, und zwar sehr würdevoll – nicht einmal die unmoralischsten Fabrikarbeiterinnen besaßen die Kühnheit, einen fremden Mann in der Öffentlichkeit anzusprechen! Aber irgend etwas hielt sie dort fest. Vielleicht lag es an der Ähnlichkeit mit Hugh, obwohl er eine andere Stimme hatte und nicht so groß war wie Hugh. Vielleicht lag es an seinem charmanten Lächeln oder an der teuren Kleidung und der selbstbewußten Art, in der er vor ihr stand. Wie auch immer, Pauline blieb lange genug stehen, daß er sich vorstellen konnte und sie plötzlich einem wildfremden Mann die Hand reichte und, was noch schlimmer war, mit ihm sprach!
»Ich habe Sie wirklich für einen alten Freund von mir gehalten. Ich versichere Ihnen, es ist nicht meine Art, unbekannte Männer anzusprechen!«
»Nun ja, jetzt kennen Sie mich«, erwiderte er, »und nachdem Sie dieses wichtige Geschäft unterbrochen haben, bin ich der Ansicht, daß Sie mir zumindest die Höflichkeit schuldig sind, mir Ihren Namen zu nennen.«
Pauline sah sein charmantes Lächeln und vergaß sich einen Augenblick lang. Er war Hugh wirklich so ähnlich … »Pauline MacGregor«, erwiderte sie.
»Ich sehe also wie ein Schafzüchter aus?«
Zu ihrem Entsetzen wurde Pauline auch noch rot. »Sie ähneln einem Freund von mir, dem eine Schaffarm im Westen gehört.«
Er sah sie lange aufmerksam an, und offenbar gefiel ihm, was er sah, denn er sagte ruhig: »Ihr Freund kann sich glücklich schätzen. Ich glaube, Sie haben mich ›Liebster‹ genannt.«
»Er ist ein alter Freund«, erklärte sie schnell. »Er ist wie ein Bruder für mich.«
»Dann können Sie mich vielleicht ja auch als einen alten Freund betrachten und mir die Ehre erweisen, mit mir Tee zu trinken?«
Pauline verschlug es den Atem. Er stand zu dicht vor ihr und lächelte zu vertraut. »Das kann ich leider nicht, Mr. Prior.«
»Warum nicht?«
»Wir kennen uns nicht. Außerdem bin ich eine verheiratete Frau.«
»Du meine Güte, bitten Sie Ihren Mann, sich uns anzuschließen.«
Pauline warf einen Blick auf den Verkäufer, den das Gespräch zu amüsieren schien. Sie gab ihm stumm, aber energisch zu verstehen, daß er sich entfernen möge. »Mein Mann ist nicht mit nach Melbourne gekommen, Mr. Prior.«
»Das erstaunt mich. Wenn Sie meine Frau wären, würde ich Sie in einer Stadt wie Melbourne nicht allein lassen.« Dann fügte er hinzu: »Genauer gesagt, auch nicht an einem anderen Ort.«
»Sie sind sehr direkt, Mr. Prior«, sie wandte sich zum Gehen.
»Bitte, Mrs. MacGregor! Ich wollte Sie nicht verletzen, sondern Ihnen ein Kompliment machen. Ich versichere Ihnen, meine Absichten sind völlig ehrenhaft. Ich bin geschäftlich ein paar Tage in Melbourne und kenne in dieser
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