Traumzeit
Sie redeten sich als Mr. und Mrs. MacGregor an. Sie speisten abends zusammen, schliefen nachts in getrennten Schlafzimmern, und einmal in der Woche erschien Colin bei ihr und machte sein Recht als Ehemann geltend. Sex war ein genau berechnetes Ritual.
Aus einer solchen Verbindung, das sah Pauline ein, konnte nie ein Kind entstehen.
Aber es war einmal anders gewesen …
Sie half dem kleinen Jungen, den Pfeil auf die Zielscheibe zu richten, und dachte an die erste Zeit mit Colin – besonders an ihre Hochzeitsnacht an Bord des Schiffs, als sie nach Schottland reisten. Wie leidenschaftlich hatte er sie in die Arme genommen, wie hart und elektrisierend war sein Körper gewesen. Sie hatte versucht, etwas zu sagen, aber er hatte ihr die Hand auf den Mund gelegt. »Sag nichts«, flüsterte er.
Pauline war überwältigt gewesen von der Kraft und der Härte, mit der Colin sie nahm. Er war gierig gewesen, so gierig, als wolle er sie verschlingen. Sie hatte versucht, eine Partnerin zu sein, aber er hatte sie bezwungen. Er hatte sie auf so gewaltsame Weise genommen und unterworfen, daß sie zuerst erschrak. Pauline hatte nicht gewußt, was Unterwerfung bedeutete, wie es war, sich so absolut in die Gewalt eines anderen zu begeben. Zum ersten Mal in ihrem Leben gab sie nicht den Ton an.
Und das hatte ihr gefallen.
So hatten sie in den ersten Jahren ihrer Ehe miteinander geschlafen, und Pauline zweifelte nicht daran, daß bei solcher Leidenschaft ein Kind kommen werde. Aber die Jahre vergingen, Pauline wurde nicht schwanger, und wenn sie miteinander schliefen, geschah es immer mechanischer.
Jetzt war sie verzweifelt. Pauline befand sich im letzten Jahrzehnt ihrer Fruchtbarkeit. Der Gedanke an die Zukunft, die vielleicht vor ihr lag, machte ihr Angst. Sie fürchtete einsame, leere Jahre, in denen sie nur die ›Tante‹ für die Kinder anderer sein würde.
Natürlich gab es noch Judd. Er war jetzt sechzehn und bereits ein sehr unabhängiger junger Mann. Judd hatte sich Paulines Bemühungen widersetzt, ihm eine Mutter zu sein. Und wenn sie ehrlich war, dann mußte Pauline zugeben, daß sie sich keine große Mühe gegeben hatte. Er war das Kind einer anderen Frau. Als Judds Stiefmutter konnte sie für ihn nicht dieselben Gefühle entwickeln wie für ein eigenes Kind.
Sie wußte, was alle ihre Freundinnen dachten. Mit welcher Überraschung hatte man einige Jahre nach der Hochzeit festgestellt, daß sie kein Kind bekam. In den Augen ihrer Freundinnen galt Pauline als unangefochtene Siegerin in allen Bereichen des Lebens. Sie hatte immer Erfolg, wenn sie etwas in Angriff nahm. Aber offenbar brachte sie nicht das zuwege, was auch der einfachsten Frau gelang, und wozu Frauen von der Natur geschaffen waren.
Pauline konnte das allgemeine Mitleid nicht ertragen. Sie wollte ebenso wie Mercy Cameron einer anderen Frau das Kind aus den Armen nehmen und sagen: »Mein Schatz will zu mir. Er will zu seiner Mutter.«
»So mußt du den Bogen halten«, erklärte Pauline jetzt dem kleinen Jungen. Sie hatte die Arme um ihn gelegt, stützte mit der einen Hand den Bogen und half ihm, die Sehne zu spannen. »Du mußt mit dem Pfeil etwas tiefer zielen, um ins Schwarze zu treffen. Richte die Spitze des Pfeils auf den Boden vor der Zielscheibe. So jetzt zieh die Sehne zurück, bis die Federn des Pfeils dein Ohr berühren – ja, so … jetzt laß los.«
Der Pfeil schwirrte durch die Luft, prallte gegen die Leinwand auf der Rückseite des Stands und fiel auf den Boden.
»Gut so«, sagte Pauline aufmunternd, »du mußt es üben. Hier hast du noch einen Pfeil.«
Im Grunde sollte er für einen Penny nur drei Pfeile bekommen, aber sie gab ihm fünf. Trotzdem gelang es dem Jungen noch nicht einmal, den Heuballen zu treffen. Als der nächste an die Reihe kam, standen dem Kleinen die Tränen in den Augen, aber Pauline ließ ihn schnell einen Preis wählen, weil er sich so große Mühe gegeben hatte.
»Also wirklich, Pauline«, sagte Louisa, als der Junge strahlend davonlief, um den Preis seinen Eltern zu zeigen, »du kannst doch nicht jedem Kind einen Preis geben. Wie soll der Junge denn etwas lernen, wenn er für einen Mißerfolg belohnt wird?«
»Das macht doch nichts, Louisa.«
»Ich finde es erstaunlich, das von dir zu hören, Pauline, wenn ich daran denke, wie sehr du um jeden Preis kämpfst.«
Pauline betrachtete ihre Freundin, die so dick war, daß sie sich in dem kleinen Stand kaum bewegen konnte. Wie ist es Louisa gelungen, sechs
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