Traumzeit
von Adam, die ersten Anzeichen ihrer Liebe für Hugh. Dann kam der Tag, als Sarah mit ihr zum Fluß gegangen war und ihr vom Känguruh-Träumen erzählt hatte. »Sarah sagt, ich folge einem Traumpfad«, hatte Joanna vor beinahe neun Jahren geschrieben, »und ich schaffe dabei meine Wirklichkeit, ich singe sie. Was hat sie damit gemeint: Ich singe die Wirklichkeit? Ich bin mir dessen nicht bewußt.«
Joanna blickte auf die Seite und plötzlich erinnerte sie sich an etwas, daß Sarah ebenfalls vor langer Zeit gesagt hatte. »Auch das Tagebuch ist eine Art Traumpfad«, hatte Sarah ihr erklärt.
Wenn dieses Buch mein Pfad ist, dachte Joanna, dann ist vielleicht das Schreiben, das Führen des Tagebuches, dasselbe wie die Wirklichkeit schaffen, sie singen. Hatte Sarah das damit sagen wollen? Und wenn das mein Traumpfad ist, dann ist es auch der meiner Mutter, denn es war zuerst ihr Tagebuch … Und ich führe es weiter, so wie ich die Alpträume habe, unter denen sie litt. Ich erlebe dieselbe Angst und das Gefühl der Bedrohung wie sie am Ende ihres Lebens.
Traumpfade, dachte Joanna gequält, Regenbogenschlangen und wilde Hunde. Was hatte das alles zu bedeuten? Sie wollte nichts mehr davon wissen und doch war sie davon wie besessen. Warum vermochte sie das Geheimnis nicht zu lösen? Es mußte möglich sein, einen Traumpfad zu ändern, seine Richtung zu ändern. Joanna wollte nicht zulassen, daß das Schicksal ihrer Mutter auch ihr Schicksal wurde – und das von Lisa.
Joanna klappte das Tagebuch zu und ging zu dem kleinen Schreibtisch, in dem sie ihre Korrespondenz aufbewahrte. Sie zündete die Petroleumlampe an, nahm ein Blatt Papier und begann zu schreiben: ›Liebe Tante Millicent, ich weiß, ich habe Sie in der Vergangenheit bereits darum gebeten, mir über bestimmte Lücken im Leben meiner Mutter Auskunft zu geben. Aus Achtung vor den Schmerzen der Trauer, die solche Erinnerungen wieder auffrischen, wie Sie sagten – die Trauer um den Verlust Ihrer Schwester –, habe ich nicht auf den Informationen bestanden. Aber das muß ich jetzt. Ich leide unter einer bestimmten seelischen Krankheit, die auch meine Mutter vor ihrem Tod hatte. Sie äußert sich in Alpträumen, Kopfschmerzen und in einem wachsenden Gefühl der Bedrohung und Angst. Es ist sehr wichtig, daß ich den Grund dafür erkenne. Und ich glaube, er hat irgendwie mit der Kindheit meiner Mutter zu tun, über die nur Sie mir Einzelheiten berichten können. Tante Millicent, ich bitte Sie inständigst, sagen Sie mir, was Sie über die Umstände wissen, unter denen meine Mutter Australien verlassen hat. Es geht um meine Gesundheit und um das Wohlergehen meiner Tochter.
Gibt es etwas, das ich wissen sollte?
‹
4
Der Postkutscher ließ nicht mit sich reden. »Ich bedaure, Missus«, sagte er, »in meiner Kutsche fahren keine Schwarzen. Ich muß an die anderen Fahrgäste denken. Sie haben bezahlt. Sie haben Rechte.«
Joanna konnte es nicht glauben. Bis hierher waren sie nach einer so langen Reise gekommen, Karra Karra konnte nicht mehr weit sein und jetzt lehnte es der Kutscher der Überlandkutsche ab, Sarah mitzunehmen, weil sie eine Ureinwohnerin war.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein«, erwiderte sie. »Sie wollen uns doch wohl nicht einfach hier zurücklassen?«
Der Mann senkte die Stimme. »Verstehen Sie, Missus, es liegt nicht an mir. Ich habe nichts gegen Nigger. Wenn ich zu entscheiden hätte, dürfte sie einsteigen. Aber die anderen Fahrgäste …«
Joanna blickte zu den anderen fünf Personen, die mit ihr und Sarah den Zug verlassen hatten – es waren drei Männer und zwei Frauen. Sie saßen bereits in der Kutsche und blickten betont in eine andere Richtung.
»Was sollen wir denn machen?« fragte Joanna den Kutscher. Der Bahnhof bestand aus einer kleinen Hütte im Busch. Ein paar Meter neben den Geleisen begann dichter Wald. Es war der letzte Halt für alle, die nicht nach Sydney weiterfuhren. Wer zu anderen Städten und Siedlungen wollte, verließ hier den Zug und fuhr mit der Überlandkutsche weiter.
»Ich bedaure, Missus, aber ich muß mich an die Vorschriften meiner Gesellschaft halten: Keine Aborigines.« Er hob bedauernd die Schultern und stieg auf den Kutschbock.
»Bitte, Joanna«, sagte Sarah, »fahr du mit der Kutsche. Ich kann hier warten.«
»Aber vielleicht werde ich in der Mission übernachten, Sarah. Wo wirst du schlafen? In dieser Hütte?« Joanna drehte sich zu dem Kutscher um. »Können Sie mir wenigstens sagen, wie
Weitere Kostenlose Bücher