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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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den Regen fallen, fallen, fallen,
    Auf meine Liebste sehe ich ihn fallen.
    Seltsam, dachte sie, während sie mit dem Einspänner durch die fahlbraune Landschaft fuhr. Seit Jahren hatte sie nicht mehr an dieses Lied gedacht. Als kleines Mädchen hatte sie es von der alten Deereeree gelernt. Weshalb fällt es mir jetzt plötzlich wieder ein, überlegte sie. In letzter Zeit erinnerte sich Sarah an vieles, zum Beispiel daran, wie die alte Deereeree sie gelehrt hatte, Körbe aus Pflanzenfasern zu flechten; an ein Mädchen namens Becky, die ihre beste Freundin in der Mission gewesen war; an geheime Rituale im nahe gelegenen Wald. Diese Erinnerungen tauchten in ihr auf, weil Philip ihr gelegentlich Fragen stellte. Üblicherweise begann es mit: »Wie macht man bei deinem Volk das …?« Dann erkannte Sarah, wie schön es war, wieder an solche Dinge zu denken.
    Sie war an diesem. Morgen nach Cameron Town gefahren, um die Post abzuholen und einiges einzukaufen: Stickgarn für Alice, Backpulver für Mrs. Jackson und Bleistifte für Adam. Es waren zwei Briefe für Joanna dabei, einer von Mr. Robertson vom Missionsdorf Karra Karra und der andere aus England. Außerdem hatte sie Briefe für Alice.
    Sarah dachte an Philips Frau. Sie war so still und so unaufdringlich. Wie Alice selbst gesagt hatte, verwirrte sie dieses Leben in der Wildnis. Offenbar verbrachte sie viel Zeit damit, Briefe an ihre vielen Freunde und Verwandten in England zu schreiben. Man hörte und sah stundenlang nichts von ihr, und dann tauchte sie aus ihrem Zimmer auf und hatte einen Stapel Briefe, die zur Post gebracht werden sollten. Sie bekam Postkarten und Fotografien und Zeitungsausschnitte von ihrer Familie und saß viele Stunden am Tisch und klebte sie sorgfältig in ihre Sammelmappen. Aber es blieb niemandem verborgen, daß Alice McNeal schreckliches Heimweh hatte.
    Deshalb war es auch nicht wirklich überraschend gekommen, daß Philip am Tag zuvor beim Abendessen erklärt hatte, nachdem das Haus beinahe fertig sei, würden er, Alice und Daniel so bald als möglich nach England abreisen.
    Sarah hatte gewußt, daß der Augenblick seines Abschieds kommen mußte. Aber als sie hörte, wie Philip es tatsächlich aussprach und daß es so endgültig klang, wurde sie traurig. Sie wußte allerdings auch, daß es so das Beste war, denn das, was irgendwie zwischen ihnen entstanden war, ohne daß einer von ihnen es sich eingestehen wollte, hätte überhaupt niemals erwachen dürfen. In den vergangenen Monaten hatte Sarah sich nicht erlaubt, auch nur einmal mit Philip allein zu sein. Aber ihre Gefühle für Philip wurden trotzdem stärker und intensiver. Und was die Sache noch schlimmer machte, sie spürte diese Gefühle auch bei ihm. Es war eine gefährliche Lage.
    Sie hatte versucht, ihre Liebe zu ergründen und sich viele Male gefragt: Warum Philip? Sarah fehlte es nicht an Bewunderern. Da war Eddie, der Mischling, ein intelligenter, aufgeweckter Farmarbeiter. Er sah gut aus und war sichtlich in sie vernarrt. Es gab den jungen Eingeborenen, der in Thompsons Laden in Cameron Town arbeitete. Er trieb sich immer in der Nähe von Sarahs Einspänner herum, wenn sie dort einkaufte. Sogar ein Weißer interessierte sich für sie – Arnie Ross. Er war Anwalt in der Stadt und hatte Sarah bei einem Gemeindepicknick gesehen. Er hatte schriftlich in Merinda angefragt, ob er sie besuchen dürfe.
    Doch Sarah interessierte sich nur für Philip McNeal – sie interessierte sich nicht nur für ihn, sie war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Und sie wollte wissen, weshalb. Er sah gut aus – Arnie Ross auch. Er war witzig, klug und lachte viel – Eddie auch. Er war sensibel und freundlich – der junge Mann bei Thompson war ebenfalls sensibel und freundlich. Was hatte Philip also an sich, das ihn für sie zu einem so besonderen Mann machte?
    Vielleicht lag es an der Art, in der er die andere Seite ihres Wesens ansprach und sie aufforderte, an das Leben der Ureinwohner zu denken und sich daran zu erinnern. Er sprach ständig mit ihr darüber, er schien geradezu fasziniert davon zu sein. Es hatte den Anschein, als wolle er diese Seite in Sarah wieder wecken und ihr zum Durchbruch verhelfen. Sie überlegte, was mit dem weißen Anteil ihres Wesens geschehen würde, wenn sie Philip erlaubte, diesen ans Tageslicht zu bringen. Sie konnte nicht gleichzeitig zwei Menschen sein. Sie konnte nur das eine oder das andere sein. Und doch schien die weiße Hälfte ihres Wesens sich

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