Traumzeit
nicht zu behaupten. Nach sieben Jahren, in denen sie wie eine weiße Frau gelebt hatte, in denen sie Joanna nachahmte, den Körper in ein Korsett schnürte, die Füße in Schuhe zwängte und den schwarzen Teil ihres Ichs geheim und für sich behielt, nach dieser langen Zeit schien das weiße Ich dem anderen, unterdrückten Ich zu unterliegen. Die Erinnerungen an die Vergangenheit lieferten den Beweis dafür. Ein weiterer Beweis war die Tatsache, daß Sarah sich freute, wenn diese Erinnerungen auftauchten, daß sie die Bilder und Gedanken begrüßte. Vielleicht war das wirklich ein Grund dafür, daß sie Philip so sehr liebte.
Während sie nun in der Morgensonne dahinfuhr, fragte sie sich: Wenn ich einen Mann wie Philip heiraten würde, genauer gesagt, wenn ich Philip heiraten würde, dürfte ich dann wieder eine Aborigine sein?
Sie dachte daran, wie sie Philip vor ein paar Abenden beobachtet hatte, ohne daß er etwas davon merkte. Sie stand versteckt zwischen den Bäumen unten am Fluß, so wie sie vor beinahe acht Jahren einmal dort gestanden hatte, und beobachtete Philip im Musikzimmer des neuen Hauses. Er fuhr mit den Händen über das Holz, inspizierte den Anstrich und bückte sich, um die Fußleisten zu begutachten. Fahles Mondlicht fiel in das Zimmer, und Philip sah unwirklich und fast körperlos aus. Er war groß und schlank, hatte eckige Schultern und knochige Hüften, und trotzdem bewegte er sich mit fließender Anmut.
Sarah hatte in diesem Moment zu ihm gehen und sich von ihm verabschieden wollen. Sie hatte sich leidenschaftlich und auf eine bleibende Art mit ihrem Körper und ihrem Atem verabschieden wollen. Sie wollte sich ihm einprägen, damit er sie nie vergessen würde, so wie er Blütenstaub im Wind nie vergessen hatte. Aber das Wilde, das in ihr lauerte, erschreckte sie immer noch, und Sarah glaubte, sie dürfe ihm niemals freien Lauf lassen. Und so hatte sie sich nur stumm mit den wenigen Worten ihrer Sprache von ihm verabschiedet, an die sie sich noch erinnerte:
Winjee khwaba.
Als sie nun mit ihrem Wagen über die Landstraße fuhr, hob sie unwillkürlich den Kopf und sah einen Keilschwanzadler, der vom blauen Himmel herunterschwebte. Er kam im Sturzflug ganz tief, fing sich kurz über der Erde und flog wie ein bronzefarbener Blitz wieder davon. Sarah hielt ihr Gesicht in den Wind. In der Ferne entdeckte sie die verkohlten Reste eines ausgebrannten Farmhauses umgeben von verbrannten Feldern. Und dann sah sie ihn …
Philip. Er saß im Gras und zeichnete in seinen Skizzenblock. In der Nähe stand sein angebundenes Pferd.
Sarah hielt den Wagen an und beobachtete ihn. Sie dachte daran, wie er an vielen Abenden noch spät mit Joanna und Hugh über den Plänen für das Haus gesessen und hier eine Änderung, dort eine Ergänzung vorgeschlagen hatte. Jeder Balken war unter Philips Aufsicht an seinen Platz gelegt und verankert, jeder Nagel unter seinen Augen eingeschlagen worden. Wenn er Mängel entdeckte, die außer ihm offenbar niemand sehen konnte, ließ er das betreffende Teil wieder herausreißen und durch ein neues ersetzen. Er war mit den zusammengerollten Plänen unter dem Arm über den Bauplatz gelaufen, hatte inspiziert, gemessen, geprüft und noch einmal geprüft. Und wenn noch zwei zusätzliche Hände gebraucht wurden – um eine Mauer hochzuziehen, um Zement anzumachen –, hatte Philip zugegriffen.
Das neue Haus auf Merinda war nach Sarahs Ansicht einmalig. Philip hatte mit seinem Entwurf mutig neue Wege beschritten. Es war ein sehr großes, einstöckiges Haus, und alles befand sich unter einem Dach. Das gab es bei keinem anderen Farmhaus im Distrikt. Philip hatte die Küche in das Haus eingegliedert, anstatt sie wie üblich als separates Gebäude an das Ende eines langen überdachten Gangs zu legen. Auf der hinteren Veranda befand sich ein eingemauerter Waschkessel mit Hähnen für fließendes Wasser – eine höchst ungewöhnliche Einrichtung. Und als erstes Haus im Distrikt hatte es eine Gasbeleuchtung.
Es war ein schönes Haus mit einem hübschen Walmdach und einer breiten, umlaufenden Veranda mit geschmackvollen, durchbrochenen Gußeisenornamenten an den Pfosten. Aus dem ganzen Distrikt waren Besucher gekommen, um dieses Haus zu sehen. Sarah dachte oft, es sei durch geistige Kräfte geschaffen worden. Frank Downs hatte in der
Times
darüber geschrieben, und zu dem Artikel erschien eine Illustration seiner Frau Ivy. Auf dem Bild sah man das Haus auf Merinda, das groß, aber
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