Traumzeit
ist Mitglied der Royal Society in London. Stellt euch vor, er hat tatsächlich mit Charles Darwin zusammengearbeitet!«
Adam träumte davon, in Darwins Fußstapfen zu treten. Er wollte in die Royal Society aufgenommen werden, als Naturforscher die Welt bereisen, neue Tierarten entdecken, Dinosaurierknochen ausgraben und seinen Beitrag zu den Beweisen für die Richtigkeit der Evolutionstheorie leisten. An seiner energischen Art, dem Enthusiasmus, mit dem er davon sprach, und der Begeisterung, die aus seinen Augen leuchtete, erkannte Joanna, daß es ihm gelingen würde.
»Es war eine gute Aufführung, nicht wahr, Joanna?« sagte Hugh.
Sie spürte die Wärme seiner Hand durch den Handschuh, und als sie sein Lächeln sah, mußte sie an den jungen Mann denken, den sie vor fünfzehn Jahren kennengelernt hatte. Hugh sah mit fünfundvierzig ebenso gut aus wie damals, wenn nicht noch besser. Denn die Jahre hatten seinem Gesicht die Spuren von Erfahrung, Wissen und ruhiger Würde eingeprägt. »Ja, Hugh«, sagte sie. »Es war eine sehr gute Aufführung.«
Er sah sie an und fragte: »Ist alles in Ordnung, Joanna?«
Die Frage überraschte sie nicht. Sie hatte ihm zwar nichts von den Problemen der letzten Zeit erzählt, hatte sogar versucht, sie ihm zu verheimlichen, aber sie wußte, Hugh würde es spüren. »Ja«, beteuerte sie. »Es ist alles in Ordnung.«
»Fühlst du dich in der Lage, im Hotel im Speisesaal zu essen? Wenn es dir lieber ist, können wir direkt auf unser Zimmer gehen.«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich lasse mir diesen Abend nicht von meinen dummen Kopfschmerzen verderben.«
Aber diesmal waren es nicht nur Kopfschmerzen, nicht nur die Nachwehen eines der häufigen Alpträume. Ein seltsames Gefühl beunruhigte Joanna schon den ganzen Tag. Es war wie eine Vorahnung, die unterschwellig vor einem Sturm warnt. Und sie erlebte das nicht zum ersten Mal. Seit Wochen brachte sie ein unbestimmtes, aber wachsendes Gefühl der Angst immer öfter aus dem Gleichgewicht.
»Vater«, rief Lisa und löste sich aus einer kleinen Gruppe ihrer Freundinnen. »Sie sind alle so beeindruckt! Du bist wirklich wunderbar!«
Joanna beobachtete, wie Vater und Tochter sich umarmten. Dabei dachte sie an den Tag, an dem sich diese seltsame Vorahnung zum ersten Mal eingestellt hatte. Das lag nun zwei Monate zurück. Lisa war gerade zwölf geworden und hatte angefangen, ihre Tage zu bekommen. Während Joanna ihrer Tochter die Veränderungen erklärte, die in ihrem Körper stattfanden und darüber sprach, was Lisa erwartete und wie sie damit umgehen solle, regte sich in ihr diese unbestimmte Angst. Sie dachte: Lisa ist kein kleines Mädchen mehr, sie wird erwachsen.
In dieser Nacht konnte Joanna nicht schlafen, sie las im Tagebuch ihrer Mutter. Sie wollte herausfinden, ob sie um die Zeit ihrer ersten Menstruation, bei der Joanna ebenfalls zwölf gewesen war, etwas von Bedeutung finden werde. Aber da stand nichts – kein Wort über das Ereignis und kein Hinweis darauf, daß Lady Emily danach beunruhigt gewesen wäre.
Die Zukunft machte Joanna Angst. Sie wußte, die Alpräume ihrer Mutter hatten begonnen, als Joanna sechs Jahre alt gewesen war. Das hatte sich bei ihr wiederholt, als Lisa sechs wurde. Ist das wirklich die Macht der Suggestion, fragte sie sich, oder hat es mehr zu bedeuten?
Was sollte sie tun? Was sollte sie nur tun? Sie konnte Lisa nicht immer bei sich behalten. Joanna wollte keine Mutter sein, die sich an ihr Kind klammert. Aber sie wollte ihre Tochter vor den Mächten schützen, die die Nachkommen von Naomi Makepeace zu verfolgen schienen. Joanna kannte Lisas panische Angst vor Hunden. Wenn sie ihre muntere, lebhafte Tochter ansah und an den dunklen, harten Kern der Angst dachte, der in Lisa lag, nahmen ihre Qualen zu. Joanna wußte von der Existenz dieses Kerns, denn Lady Emily hatte eine solche schwarze Perle der Angst in sich getragen, und Joanna erging es ebenso. Manchmal kam es ihr vor, als sei es eine richtige Krankheit, so etwas wie Hämophilie, die von Generation an Generation weitergegeben wurde – ein unentrinnbarer Fluch, ein Erbe. Es weckte bei jeder neuen Generation das Mitgefühl für die nächste, weil man wußte, was für ein grausames Schicksal die Kinder erwartete.
Joanna würde die Wochen und Monate nie vergessen, die auf den nächtlichen Angriff der Dingos folgten. Sie war mit ihrer Tochter ans Meer gefahren und hatte darum gekämpft, ihr Kind durch die heilenden Kräfte von Sonne,
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