Traumzeit
Stille. Dann rief Angus McCloud: »Nur ein paar Worte, Hugh.«
Hugh räusperte sich. »Ich fürchte, ich bin nicht darauf vorbereitet, heute abend Reden zu halten. Ich muß nicht betonen, wie sehr es mich ehrt, daß Ihre Majestät meine Gedichte gelesen hat. Aber in diesem Augenblick denke ich auch an einen alten, inzwischen verstorbenen Freund, an Bill Lovell. Er war nicht sehr gebildet, er konnte kaum lesen und schreiben. Aber er sagte, was er dachte, wenn ihm danach zumute war. Eines Tages brüllte ihn ein Viehzüchter an: ›Lovell, wenn sich Ihre Manieren nicht bessern, jage ich Sie von der Farm.‹ Mein Freund erwiderte: ›So können Sie mich nicht behandeln. Ich bin ein britischer Untertan.‹«
Als das Lachen verstummte, sagte Hugh: »Meine lieben Freunde. Meine Gedichte sprechen davon, wer wir sind und wo wir sind.« Er sah Joanna an und fuhr fort: »Gewiß, wir mögen aus weiter Ferne hierher gekommen sein, und wir dürfen niemals vergessen, daß Britannien unsere Mutter ist. Aber wir alle wissen, Australien ist unsere Heimat und unsere Zukunft.«
Der Applaus drang durch die geschlossenen Türen des Speisesaals. Man hörte ihn in der Hotelhalle, wo sich ein Seemann dem Empfang näherte. Sein Gesicht war vom Wetter gegerbt, er hatte einen ordentlich gestutzten weißen Bart und blaßblaue Augen. Er trug eine dunkelblaue doppelreihige Tuchjacke mit Messingknöpfen und eine Offiziersmütze.
»Verzeihung«, sagte er zu dem Angestellten am Empfang. »Ich habe gehört, Mr. und Mrs. Westbrook wohnen bei Ihnen im Hotel.«
Der Angestellte sagte: »Einen Augenblick, bitte« und sah das Anmeldebuch durch. »Ah ja, hier haben wir sie. Aber ich fürchte, sie sind im Augenblick nicht im Hotel. Ich habe ihre Schlüssel hier, und das bedeutet, daß sie ausgegangen sind.«
»Wissen Sie, wann sie zurückkommen?«
»Das kann ich nicht sagen. Wenn Sie möchten, können Sie gern eine Nachricht hinterlassen.«
Der Mann überlegte einen Augenblick. »Ich weiß nicht, ob das etwas nützen würde«, murmelte er. »Ich bin ab morgen wieder unterwegs und ohnehin nicht erreichbar.«
Man hörte Gelächter im Speisesaal. Der Seemann drehte sich um. »Das klingt, als ob sich jemand gut amüsiert«, sagte er lächelnd.
»Es muß eine geschlossene Gesellschaft sein«, sagte der Angestellte. »Man hat mir gesagt, das Restaurant ist heute abend für die Allgemeinheit geschlossen. Soll ich Mr. und Mrs. Westbrook sagen, daß Sie sich nach ihnen erkundigt haben?«
»Das würde nichts nützen. Sie kennen mich nicht, und ich kenne sie nicht.« Der Seemann dachte nach. Dann sagte er mit einem Schulterzucken: »Es ist nicht wichtig. Also dann, gute Nacht.« Er verließ das Hotel.
Das Orchester spielte Walzer und Polkas und das flotte ›Klick geh’n die Scheren‹, Kellner trugen Tabletts mit Champagner und
Hors d’œuvres
und Joanna mischte sich unter die Gäste. Sie dankte ihnen für ihr Kommen und nahm die Glückwünsche für den Erfolg ihres Mannes entgegen.
Pauline trat zu ihr. »Ich gratuliere, Joanna. Die Überraschung ist gelungen und ein großer Erfolg für Hugh.«
»Pauline, ich freue mich so sehr, daß Sie mit Judd kommen konnten.«
Pauline blickte an Joanna vorbei und sah, wie Lisa sich für eine Gruppenaufnahme zu ihrem Vater und Adam gesellte. Sie empfand eine Spur Neid – nicht wegen Hugh, denn sie hatte sich schon lange damit abgefunden, daß sie ihn verloren hatte –, sondern wegen Joannas Tochter. Lisa war ein Mädchen, wie Pauline es gerne als Tochter gehabt hätte. Sie war intelligent, hübsch und voller Leben. Um ein solches Kind waren Paulines Gedanken gekreist, als sie noch davon träumte, eine Tochter zu haben, und ehe sie sich schließlich damit abgefunden hatte, daß es ihr nicht bestimmt war, Mutter zu werden.
»Es tut mir leid, daß Colin nicht hier ist«, sagte Joanna.
Pauline sah sie an und dachte an ihre erste Begegnung mit Joanna vor fünfzehn Jahren bei dem Kinderfest für Adam. »Danke, daß Sie das sagen«, erwiderte sie in dem Bewußtsein, daß Joanna und dem ganzen Distrikt bekannt war, weshalb Colin vor drei Monaten Australien verlassen hatte.
Kilmarnock war in Schwierigkeiten. Als der Weltpreis für Wolle sank, gerieten die Pächter von Colins Farmen in Not. Und infolge einer Wirtschaftskrise in den Kolonien konnten die Farmen nach der gerichtlich durchgesetzten Vertreibung der Pächter nicht sofort wieder verkauft werden. McGregor versuchte, durch Immobiliengeschäfte in Melbourne
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