Traumzeit
Besitz. Warum sollte ein Opal für sie dann kostbar sein?«
»Vielleicht hat der Opal für sie einen anderen Wert … möglicherweise einen religiösen«, erwiderte Joanna. Sie hatte Lisa den Opal am ersten Abend ihrer Expedition gezeigt. Lisa kannte ihn bereits, aber als Joanna ihr etwas von seiner wahren Bedeutung erzählte, nahm ihn Lisa andächtig in die Hand. Sie glaubte, die besondere Kraft und Wärme zu spüren, die von ihm auszugehen schien, und blickte wie gebannt in die funkelnden Strahlen, als sie ihn ihm Schein des flackernden Lagerfeuers bewunderte. Staunend hatte sie ihre Mutter damals gefragt: »Warum hat man ihn wohl in Rupert versteckt?«
Jetzt sagte sie: »Ich wette, mein Urgroßvater hat eine Opalmine entdeckt! Großmutter spricht doch immer von einem besonderen Erbe …« Sie gab Joanna das Tagebuch zurück. »Bestimmt wollte sie deshalb unbedingt nach Australien zurück. Ich wette, das verbirgt sich hinter der alten Urkunde!«
Aber Joanna fürchtete, das ›besondere Erbe‹ habe weniger etwas mit einer Opalmine zu tun. Sie verstaute das Tagebuch sorgsam in dem Lederbeutel, in dem sie auch den Opal und die Aufzeichnungen ihres Großvaters und natürlich die Urkunde aufbewahrte. Dabei erinnerte sie sich an etwas, das ihr Sarah vor langer Zeit gesagt hatte. »Das Tagebuch ist das Träumen deiner Mutter. Es ist dein Traumpfad, so wie es der Traumpfad deiner Mutter war. Wenn du ihm folgst, findest du den Ort, den du suchst.«
Aber wie soll ich diesem Weg folgen, dachte Joanna, wenn ich die Orientierungspunkte nicht sehe? Vielleicht enthielt das Tagebuch Hinweise, die in die richtige Richtung zeigten, aber bis jetzt war es Joanna nicht gelungen, sie zu sehen.
Fielding entfernte sich vom Lagerfeuer, und sie fragte: »Stimmt etwas nicht, Kapitän?«
»Ich habe ein ungutes Gefühl«, erwiderte er.
»Was ist das?« fragte Graham und hob den Kopf. »Was ist das für ein Geräusch?«
Sie lauschten. »Es klingt wie Donnergrollen«, sagte Lisa.
Sammy sprang plötzlich auf. »Wasser!« rief er entsetzt.
Sie blickten alle in die Richtung, aus der plötzlich das unheimliche Donnern zu kommen schien. Sie konnten nichts sehen, aber im nächsten Moment begann der Boden unter ihren Füßen zu zittern.
»Was ist das …?« flüsterte Graham.
Sie lauschten wie erstarrt auf das unheimliche Geräusch und wagten kaum noch zu atmen.
Plötzlich sahen sie es.
»Mutter!« rief Lisa.
»Lisa!«
2
Joanna schlug die Augen auf und starrte in den Himmel. Sie hob den Kopf, und eine Welle der Übelkeit überkam sie. Sie mußte sich übergeben. Dann blieb sie einen Augenblick lang liegen und versuchte nachzudenken. Sie bemühte sich darum, einen klaren Gedanken zu fassen. Was war geschehen?
Sie fuhr sich langsam mit der Hand über die Stirn. Sand fiel ihr in die Augen und in den Mund. Sie hustete und setzte sich auf. Die Welt begann sich plötzlich zu drehen. Sie legte benommen die Hand auf die Stirn und spürte eine schmerzende Beule.
Joanna sah sich um. Die Umgebung kam ihr völlig fremd vor. Nein, hier hatten sie am vergangenen Abend das Lager nicht aufgeschlagen. Alles um sie herum schien auf dem Kopf zu stehen. Und dann fiel ihr auf, daß die Zelte verschwunden waren. Sie sah auch die Kamele nicht mehr. Sie sah niemanden. Sie war allein!
Langsam erinnerte sie sich – aus der Dunkelheit war plötzlich eine riesige Wasserwand vor ihnen aufgetaucht.
Lisa!
Joanna stand mühsam auf und blickte sich in panischer Angst um. Sie suchte Lisa und die anderen. Aber sie sah nichts, kein Lebenszeichen, niemanden.
Sie konnte es nicht glauben. Sie konnte doch nicht plötzlich ganz allein sein! Die anderen hatten doch die Flutwelle bestimmt auch überlebt und fanden wie sie selbst auf diese entsetzliche Weise in die Wirklichkeit zurück. Bestimmt würden sie bald wieder alle zusammen sein …
Lieber Gott, betete Joanna verzweifelt, Lisa darf nicht ums Leben gekommen sein!
Sie drückte zitternd die Arme an sich und befahl sich stumm: Keine Panik! Du mußt jetzt klar denken! Du darfst nicht die Nerven verlieren.
Sie versuchte, sich daran zu erinnern, was geschehen war. Sie hatten am Lagerfeuer gesessen. Graham hatte plötzlich gefragt: »Was ist das für ein Geräusch?« Und während sie wie versteinert auf das unheimliche Donnern lauschten, war die Flutwelle über ihnen zusammengeschlagen. Joanna wußte nur noch, daß Lisa die Arme nach ihr ausgestreckt hatte, und dann – nichts.
Wieder begann sie heftig zu
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