Traumzeit
Wüste, deren unerbittliches Schweigen mittlerweile beängstigend und bedrückend war, denn es erinnerte alle an ihre Ohnmacht in diesem rätselhaften Land. Während sie mit halbem Ohr Fieldings Geschichte zuhörten, gelang es keinem von ihnen, die Stille um sie herum zu vergessen. Sie erinnerten sich an die Warnungen von Kommissar Fox vor Schlangen, Skorpionen und Aborigines, die einen Mann mit einem Speer durchbohrten, nur um sich seines Tabaks zu bemächtigen. Joanna und Lisa wappneten sich insgeheim gegen wilde Dingos, vor denen Fox die Gruppe ebenfalls gewarnt hatte.
Joanna hielt den Kompaß in der Hand und blickte wie gebannt auf die Nadel, die unverständlicherweise immer wieder von ›Norden‹ nach ›Süden‹ pendelte. Sie blickte zum Himmel hinauf. Wie seltsam, dachte sie bekümmert und seufzte, kein Mond, keine Sterne, nur diese eigenartige schwarze Nacht, die immer bedrückender und bedrohlicher zu werden schien …
Eric Grahams Bleistift machte ein schabendes Geräusch auf den Seiten seines Notizbuchs. ›Noch nie habe ich eine solche Stille erlebt‹, schrieb er. ›Ich habe den Eindruck, plötzlich irgendwie in einer anderen Welt zu sein, in der es keinen Mond, keine Sonne und keine Sterne gibt.‹
Eric verlor allmählich den Mut, denn es wurde von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, daß sie das geheimnisvolle Karra Karra finden würden. Ihn bedrückte die Vorstellung, mit leeren Händen nach Melbourne zurückzukommen. Als Frank Downs ihm anbot, die Westbrooks auf ihrer Reise nach Westaustralien zu begleiten, hatte er sich voll Begeisterung dazu bereit erklärt. Er hatte schon lange keine Lust mehr, immer nur langweilige Geschichten über Wale zu schreiben, die man an der Küste sichtete. Sein Ehrgeiz war es, sich unter Journalisten einen Namen zu machen. Und dies schien die einmalige Gelegenheit für einen ehrgeizigen Reporter, der bereit war, Risiken einzugehen, denn damit würde eine solche Geschichte zum ersten Mal von einem Augenzeugen berichtet und nicht aus zweiter Hand kommen. Eric Graham wollte mit dem Bericht über das Geheimnis von Karra Karra Ruhm und Ansehen erringen und sich einen Namen als der Beste seiner Branche machen. Vielleicht würde das auch eine gewisse junge Dame umstimmen, die seinen Heiratsantrag zurückgewiesen hatte. Aber wenn sich diese Träume wirklich erfüllen sollten, dann mußten sie endlich etwas finden …
»Du meine Güte!« sagte er, legte den Bleistift nieder und rieb sich die Hände. »Es wird nachts hier draußen unglaublich kalt.«
Kapitän Fielding stand plötzlich auf und sah sich prüfend um. »Was gibt es?« fragte Joanna.
Er kniff die Augen zusammen und lauschte in die Dunkelheit. »Ich weiß nicht«, murmelte er, »es liegt etwas in der Luft … Irgend etwas ist mir nicht geheuer.«
»Lisa«, fragte Joanna und zog fröstelnd das Umschlagtuch um die Schultern, »ist es dir warm genug?«
»Aber ja, Mutter«, erwiderte Lisa, ohne den Blick von ihrer Lektüre zu wenden.
Joanna hatte ihr am ersten Tag nach der Abreise aus Kalagandra Lady Emilys Tagebuch gegeben und ihrer Tochter erklärt, es sei Zeit, daß sie den wahren Grund dieser Reise in die Wüste erfahre. Sie hatte ihr die Aufzeichnungen ihres Großvaters gezeigt und auch die alte Urkunde. Jeden Abend hatte Lisa ein paar Seiten gelesen, und Joanna erlebte, wie ihre Tochter mehr und mehr in den Sog der Vergangenheit geriet. Sie vertiefte sich in das Buch und hatte keinen Blick mehr für ihre Umgebung. Wenn sie dann später in ihr Zelt gingen, unterhielt sich Joanna mit Lisa über das, was sie gelesen hatte. Lisa stellte ihr meist viele Fragen, und manchmal sprachen sie miteinander, bis ihnen vor Müdigkeit die Augen zufielen. Jetzt war Lisa fast am Ende des Tagebuchs angekommen und schien die letzten Seiten geradezu zu verschlingen.
Mit einem tiefen Seufzer hob sie den Kopf. »Was hat das alles nur zu bedeuten? Ich meine, warum fürchten wir uns vor Hunden, Mutter? Ich weiß, ich fürchte mich wegen der Sache mit den Dingos und Knopf vor ihnen. Aber Großmutter hatte panische Angst vor Hunden, und bei dir ist es nicht anders. Glaubst du wirklich, es ist ein Fluch? Wie aufregend!«
»Aufregend?« fragte Joanna, »na ja, vermutlich hast du recht.«
»Und glaubst du, daß mein Urgroßvater ein Verbrechen begangen hat? Was mag das wohl gewesen sein? Vielleicht hat er den Feueropal gestohlen? Der Opal ist doch sehr wertvoll, nicht wahr? Aber ich dachte immer, Aborigines legen keinen Wert auf
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