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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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ziehen und Joanna und Lisa zu den Weißen zurückbringen.
    Joanna zählte die Tage, die sie bei der Sippe verbrachten, und fragte sich immer wieder, wann sie den Treffpunkt erreicht haben und wieder nach Westen ziehen würden. Inzwischen war es Ende November. Hugh würde mit Sicherheit nach ihnen suchen. Unterwegs hinterließ sie auch weiterhin Zeichen. Sie markierte die Lagerplätze und wies mit Steinpfeilen in die Richtung, in die sie zogen. Tag für Tag beobachtete sie den Kompaß und stellte fest, daß die Nadel immer heftiger kreiste, je weiter östlich sie kamen, als näherten sie sich der Ursache der Störung. Die Sippe lagerte an einem Platz, den sie
Woonona
nannten. Übersetzt bedeutete das soviel wie ›Platz der vielen jungen Wallabys‹. Es war eine zutreffende Bezeichnung, die Sippe hatte genug zu essen. Während die Männer auf die Jagd gingen, sammelten die Frauen Nahrung, und wie üblich halfen Joanna und Lisa ihnen.
    Ein plötzliches Gelächter veranlaßte Joanna, sich umzudrehen. Sie sah Coonawarra, eine junge Witwe, die auf unvergleichlich komische Art den alten Yolgerup, den Anführer der Sippe, nachahmte. Yolgerup wirkte oft finster und drohend. Aber Joanna wußte inzwischen, er war so gefährlich wie eine faule alte Katze. Alle liebten Yolgerup, und wenn die Frauen sich über ihn lustig machten, dann war das ein Zeichen ihrer Zuneigung. Coonawarra bedeutete soviel wie ›Honigblüte‹. Sie stolzierte mit ihrem Grabstock auf und ab und stieß gefährlich klingende Laute aus, wie es der Anführer tat, wenn er die Sippe an seine Autorität erinnerte. Im nächsten Augenblick saß Coonawarra auf dem Boden und führte pantomimisch vor, wie der alte Mann mit unsichtbaren Kindern spielte und mit seinem zahnlosen Mund lachte.
    Die Frauen jubelten und redeten kreischend durcheinander. Joanna verstand sie nicht. Seit sie in Yolgerups Sippe lebte, hatte sie nur ein paar wenige Worte der Aborigines gelernt. Ihre Sprache war höchst differenziert und schwierig. Glücklicherweise konnte die alte Naliandrah, die weise Frau und Hüterin der Gesänge, deren Name ›Schmetterling‹ bedeutete, und die Lisa wieder gesund gepflegt hatte, etwas Englisch, weil sie in ihrer Kindheit in einem christlichen Missionsdorf gelebt hatte. Von Naliandrah hatte Joanna alles über die Menschen gelernt, mit denen sie jetzt zusammenlebten.
    Einmal brach sich einer der jungen Männer auf der Jagd den Arm. Die alte Naliandrah häutete ein Wallaby, wickelte das noch warme und blutige Fell um den Arm und verschnürte den Verband mit einem Haarband. Der Mann mußte das Fell ein paar Wochen tragen, und Naliandrah erklärte Joanna, in dieser Zeit dringe der Geist des Wallabys in den Arm ein und heile den Knochen. Joanna fiel auf, daß das Fell schnell trocknete und so hart wie ein Brett wurde. Es war wie eine Schiene, die den Arm ruhigstellte, wodurch die Bruchstelle langsam wieder verheilte.
    Von Naliandrah lernte Joanna die vielen Gesetze, Regeln und Sitten, die in einer Sippe galten. Sie erfuhr, daß es tabu war, die Namen von Verstorbenen auszusprechen. Naliandrah erklärte ihr auch das Hochzeitsritual, das nur daraus bestand, daß eine Frau mit einem Mann schlief und vor allen erklärte, er sei ihr Mann und sie seine Frau. »Hat dein Mann andere Frauen?« wollte Naliandrah wissen und erzählte Joanna, daß bei ihnen ein Mann mehr als eine Frau haben konnte. Dann fragte Naliandrah: »Wie viele Ehemänner hast du gehabt?« und erklärte, da ein Mädchen ihrer Sippe heiratete, wenn es zehn wurde, ein Mann aber erst in den mittleren Jahren, hätte eine Frau in Joannas Alter, also mit Mitte dreißig, bereits mehrere Ehemänner gehabt.
    Schwierige Dinge ließen sich kaum erklären, zum Beispiel das Verhältnis der Aborigines zur Zeit. Alles drehte sich bei ihnen um die Traumzeit. Joanna stellte fest, daß sie nicht nur die Vergangenheit umfaßte, sondern auch die Gegenwart, ja sogar die Zukunft. Sie hatten keine Worte für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – alles war
Traumzeit.
In der Sippe kannte man auch keine Begriffe für gestern, heute und morgen. Aber es gab das Wort
Punjara,
und das bedeutete einfach ›ein anderer Tag‹.
    Joanna lernte, daß alles, was das Leben der Aborigines bestimmte, der Natur entnommen war. Ein Beispiel dafür war ihre Art zu zählen. In ihrer Sprache gab es keine Worte für die einzelnen Zahlen. Sie wurden durch Tiere ausgedrückt. Das Wort ›Hund‹ bedeutete soviel wie ›Vier‹, denn der Hund

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