Traumzeit
fröhlich in der Sonne. Ein schwarzweißer Honigsauger mit leuchtendblauen Kopffedern saß auf einem abgestorbenen Zweig und legte den Kopf von einer Seite auf die andere.
Es war wunderschön hier! Sie erinnerte sich an eine Teeplantage in Indien, die sie einmal mit ihren Eltern besucht hatte. Das Wohnhaus dort stand abseits von den Arbeitsgebäuden inmitten von Bäumen und saftigem grünen Gras auf einem Hügel. Schade, dachte sie, daß das Wohnhaus von Merinda nicht hier am Fluß steht, anstatt in dem lauten, schmutzigen Hof.
Sie hörte ein Klatschen im Wasser, und im nächsten Augenblick riß sich Adam von ihrer Hand los und lief zum Teich. Er kniete sich ans Ufer und streckte die Hände ins Wasser.
Joanna eilte ihm nach. »Vorsicht!« rief sie. Aber zu ihrer Überraschung rief Adam strahlend:
»Schnabeltier!« und schlug mit den Händen auf das Wasser.
Joanna sah voll Staunen, wie das Lachen den Jungen verwandelte. Seine Wangen waren leicht gerötet. Die tiefen Schatten um die Augen schienen zu verblassen.
»Schnabeltier!« wiederholte Adam, während kleine Wellen die spiegelglatte Wasseroberfläche kräuselten. Dann kletterte ein seltsames Tier ans Ufer, das eine Mischung aus einem Biber und einer Ente zu sein schien.
Adam jubelte und klatschte in die Hände.
Dieser Platz war verzaubert!
»Miss Drury! Was machen Sie denn hier?«
Sie drehte sich um und sah Hugh, der mit gerunzelter Stirn vor ihr stand. »Wir wollten uns den Fluß ansehen«, erwiderte sie.
»Miss Drury, ich muß Ihnen leider sagen, daß es hier unten am Billabong gefährlich ist, noch dazu, wenn Sie den Weg durch den Wald nicht kennen.«
»Billabong?« fragte sie und sah sich erstaunt um.
»Billabong ist der Name der Aborigines für einen See.«
»Oh«, sagte sie und fügte dann hinzu: »Es ist wundervoll hier.«
»Ja, das stimmt. Ich werde das Haus hier bauen … Wir stehen vermutlich genau da, wo einmal die Haustür sein wird. Das Haus soll sich bis zu den Felsen dort erstrecken. Aber wir haben noch nicht mit dem Bauen angefangen.«
»Wie wird das Haus aussehen?« fragte sie und ließ Adam nicht aus den Augen, der Schuhe und Socken ausgezogen hatte und fröhlich mit den Füßen im Wasser planschte.
»Ich wollte es eigentlich im Queensland-Stil bauen, aber Pauline, die Frau, die ich heiraten werde, hat sich ein Haus in den Kopf gesetzt, das sie in einer Zeitschrift gesehen hat. Sie hat eine Geschichte über den Wiederaufbau in den amerikanischen Südstaaten gelesen, nachdem der Krieg dort vorbei ist, und sich in ein abgebildetes großes weißes Haus mit Säulen verliebt. Es heißt Willows Plantation und steht in Georgia. Glücklicherweise habe ich in Melbourne einen amerikanischen Architekten entdeckt, der mit diesem Stil vertraut ist.«
»Das klingt schön«, sagte Joanna. »Sie müssen sich bestimmt sehr darauf freuen.«
»Ja«, sagte Hugh. Er betrachtete Joanna. Es war etwas Besonderes daran, wie das Sonnenlicht sie umspielte. Nach fünf Tagen Fahrt sah sie immer noch gepflegt und frisch aus. Nur ein paar braune Locken hatten sich aus den Haarnadeln befreit. Er wollte ihr etwas sagen, aber er wußte nicht was.
Joanna ging auf die etwa hüfthohen zerklüfteten Felsen zu. »Was ist das hier?« fragte sie.
»Das ist ein sehr alter Lagerplatz. Früher, als die Aborigines noch durch das Land zogen, haben sie hier inmitten der Felsen ihr Lager aufgeschlagen.«
»Ist das eine der heiligen Stätten, von denen Sie mir erzählt haben?«
»Vielleicht. Wir wissen es nicht genau. Nur die Alten – die Hüter der Gesänge – können einem Baum oder Steinen ansehen, ob sie von einem der Ahnen aus der Traumzeit erschaffen worden sind.«
»Es könnte also sein, daß der Platz hier heilig ist?«
»Das hängt davon ab, was Sie unter einem heiligen Platz verstehen. Die heiligen Stätten der Aborigines sind mehr als nur heilige Orte, Miss Drury. Die Schwarzen glauben, daß alles, was jemals an dieser betreffenden Stelle geschehen ist, noch immer geschieht. Eine Entweihung würde die Vergangenheit entweihen.«
»Und das Land dort drüben«, fragte sie und deutete über den Fluß, »gehört das auch noch zu Merinda?«
»Dort fängt die Nachbarfarm an. Sie gehört Colin MacGregor«, antwortete Hugh, »und heißt Kilmarnock.«
»Es ist hier alles so grün und freundlich –« Joanna hörte auf zu sprechen und bekam große Augen. Nicht weit von ihnen entfernt stand zwischen den Bäumen schweigend und unbeweglich ein Mann und beobachtete
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