Traumzeit
sie. »Mr. Westbrook, wer ist das dort?«
Hugh blickte durch die Bäume. »Ach, das ist Ezekial, der alte Ureinwohner, von dem ich Ihnen erzählt habe. Er arbeitet manchmal für mich. Er ist einer der letzten seiner Generation. Er weiß noch, wie es hier war, bevor die Weißen kamen. Wenn Sie etwas über die Legende von Merinda wissen möchten, dann müssen Sie ihn fragen.«
Joanna sah den alten Mann am Flußufer staunend an. Er schien sich aus der rötlichbraunen Erde materialisiert zu haben. Er trug Hose und Hemd, aber keine Schuhe. Die weißen Haare und der Bart reichten ihm fast bis zur Hüfte. Seine Augen konnte sie aus der Entfernung nicht sehen, aber Joanna spürte sie auf sich ruhen.
Sie drehte sich um und fragte Hugh: »Warum starrt er mich so an?«
»Eine Frau auf Merinda ist etwas Ungewöhnliches. Außerdem stehen wir ganz in der Nähe der Felsen. Ich glaube, er fühlt sich für die alten Stätten seiner Sippe verantwortlich.«
Joanna machte der Blick des alten Mannes beklommen, und sie fühlte sich wie gelähmt.
In diesem Augenblick kam Adam angelaufen. »Seht mal!« rief er und öffnete die Hände, in denen ein Grashüpfer saß.
»Der ist aber hübsch«, sagte Joanna und drehte dem Mann unter den Bäumen entschlossen den Rücken zu. »Kannst du ›Grashüpfer‹ sagen, Adam?«
Hugh beobachtete Joanna und mußte an seine Kindheit im Busch denken, an das einsame Leben in der Wildnis, wo man manchmal wochenlang keiner Menschenseele begegnete. Als er im Alter von zwanzig Jahren Merinda gekauft hatte, war ihm keine Zeit für ein gesellschaftliches Leben geblieben, denn er konzentrierte seine ganze Energie auf den Aufbau der Farm. In all diesen Jahren hatte er nur die Intimität mit solchen Frauen gekannt, wie sie in einem gewissen Haus in St. Kilda anzutreffen waren. Dann trat Pauline in sein Leben – eine Frau, wie er sie bis dahin noch nicht erlebt hatte. Der leidenschaftliche Kuß im Regen am Fluß hatte seine Leidenschaft geweckt.
Hugh sah Joanna an und dachte: Sie ist so schön, sie scheint so tüchtig zu sein, aber auch sehr verletzlich. Er erinnerte sich an die vergangenen gemeinsamen Tage unterwegs, an die Nächte in den verschiedenen Lagerstätten, und stellte plötzlich zu seiner Überraschung eine leichte Wehmut darüber fest, daß die Fahrt zu Ende war.
Und dann mußte er sich eingestehen, daß sein erster Gedanke nach der Inspektion der Schafe mit Bill Lovell nicht Pauline gegolten hatte und einem Besuch auf Lismore, wo sie auf ihn wartete, sondern daß er sich sofort wieder auf die Suche nach Joanna machte.
»Es wird spät«, sagte er. »Ich bringe Sie und Adam jetzt ins Haus.«
»Laß den Grashüpfer springen, Adam«, sagte Joanna, und sie machten sich auf den Rückweg. Aber sie drehte sich noch einmal um. Dort unten am Fluß stand Ezekial, der alte Aborigine, und sah ihnen nach.
3
Wie Hugh angekündigt hatte, war das Rindenhaus sehr einfach. Es bestand aus wenig mehr als einem Kamin an einem Ende, einem Bett am anderen und einem Tisch dazwischen. Aber Joanna störte sich nicht daran. Für die kurze Zeit ihres Aufenthalts hier würde es gehen.
Hugh ließ sie und Adam bald allein. Er wollte noch einige Herden inspizieren und dann nach Lismore reiten. Mit Adams Hilfe packte Joanna den Schrankkoffer aus. Dann ließ sie ihn vor dem Kamin mit einem Stofftier spielen, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte – es war eine lustige Puppe aus Känguruhfell, die Lady Emily ›Rupert‹ getauft hatte. Der Farmarbeiter mit dem Spitznamen Draht-Larry brachte heißes Wasser zum Baden und Holz für das Feuer. Er erzählte lachend, wie er zu seinem Namen gekommen war. Es hatte nichts damit zu tun, daß er groß und dünn war. Eines Tages war er unter brüllendem Gelächter seiner Kameraden über einen Draht zwischen zwei Zaunpfosten gestolpert und der Länge nach mit dem Gesicht in Schafkot gefallen.
Joanna badete Adam. Danach aßen sie, was man vom Kochhaus herübergebracht hatte – ein reichhaltiges Essen aus Lammkoteletts, Erbsen, frischem Brot und Käse. Zu trinken gab es Milch und für Joanna Tee. Nach dem Essen am Lagerfeuer war das eine erfreuliche Abwechslung.
Jetzt lag Adam im Bett, das er in dieser Nacht noch mit Joanna teilen mußte, denn ein zweites Bett würde es erst am nächsten Tag geben. Adam lag auf der Seite und hatte die Arme fest um Rupert geschlungen. Er schlief. Die lustige alte Fellpuppe gehörte zu den wenigen Dingen, die Lady Emily damals aus Australien
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