Traumzeit
verteidigen konnte. Paulines Vater hatte sich bei jedem Peitschenhieb geschworen, daß auch er eines Tages reich sein und über andere herrschen werde. Also ging er in die Kolonien, und es gelang ihm, sich eine Schaffarm mit fünfundzwanzigtausend Morgen fruchtbarem Weideland in der westlichen Ebene von Australiens Kolonie Victoria zu erarbeiten. Dann baute er die getreue Wiedergabe des elisabethanischen Herrenhauses, in dem er als Stallbursche sein Leid erfahren hatte. Er ließ aus England die teuersten Möbel, Teppiche, Kronleuchter und Gemälde kommen. Er scheute keine Ausgaben, und seine beiden Kinder Frank und Pauline durften sich nun seiner Leistungen erfreuen.
Pauline lebte in einer reichen und vornehmen Welt. Man hatte Louisa in Paulines Privatgemächer geführt – eine Suite mit einem Schlafzimmer, einem Wohnzimmer, einem Ankleidezimmer und einem Bad. Louisa erinnerte sich noch daran, wie das Bad installiert wurde. Im Distrikt hatten sich alle Gemüter darüber erregt. Der Architekt von Lismore unterhielt jedermann mit den Beschreibungen von Pauline Downs’ wundersamem Badezimmer. Selbst in den Häusern der Reichsten gab es kein fließendes Wasser. Aber Pauline hatte darauf bestanden, daß Wasserleitungen gelegt, eine Toilette mit Wasserspülung eingebaut und in dem Raum direkt neben ihrem Schlafzimmer eine in den Boden eingelassene Badewanne aufgestellt wurde! Louisa kam sich in dieser Umgebung immer wieder wie in Kleopatras Palast vor. Und es war für Pauline so typisch, sich über die herrschenden Gewohnheiten hinwegzusetzen. Jeder wußte, es schadete der Gesundheit, im warmen Wasser zu sitzen. Die Ärzte warnten sogar vor dem Baden ganz allgemein und beriefen sich darauf, daß selbst die Königin nicht mehr als zweimal im Jahr ein Bad nahm. Aber Pauline brüstete sich damit, jeden Tag in ihrer Badewanne von heißem Wasser zu sitzen, und erklärte, es sei das Gesündeste von der Welt.
Wie sollte eine Frau, die nur die schönsten Seiten des Lebens kannte, Verständnis für Louisas Gewissensqualen aufbringen? Louisa kämpfte mit sich. Sie mußte mit jemandem über ihr Problem sprechen, und sie wußte, Pauline würde sie vielleicht zwar nicht verstehen, aber immerhin war sie eine Frau, auf die man sich verlassen konnte. Louisa vertraute darauf, Pauline würde ihr Geheimnis nicht verraten.
»Ich war bei Doktor Fuller in Cameron Town«, sagte sie schließlich. »Ich habe ihn um einen Rat gebeten. Ich habe gehört, daß es … Möglichkeiten gibt, zu verhindern, daß so etwas geschieht. Von Winifred Cameron weiß ich, daß die Frauen in Europa einen Weg gefunden haben, nicht schwanger zu werden. Aber das alles ist streng vertraulich. Es ist bei Strafe verboten, über solche Dinge zu schreiben oder zu sprechen. Ich dachte, Doktor Fuller ist Arzt … Ich dachte, er wisse möglicherweise etwas darüber und werde es mir vielleicht sagen.«
Pauline sah ihre Freundin mit großen Augen an. »Und hat er es getan?«
Louisa schüttelte den Kopf. »Er hat mir einen Vortrag über Gottes Gebote gehalten und die Pflichten einer verheirateten Frau. Dann drohte er, Miles von meinem Besuch zu erzählen. Aber ich habe geweint und ihn angefleht, es nicht zu tun. Schließlich hat er mir versprochen, zu schweigen, wenn ich diese törichte Idee einer Schwangerschaftsverhütung aufgeben würde. Er hat mir das Gefühl gegeben, eine Sünde zu begehen und schlecht zu sein, Pauline.«
»Was willst du jetzt tun?«
Louisa drehte sich um und sah sie an. »In der Stadt gibt es einen neuen Arzt. David Ramsey …«
»Ja, das hat mir Maude Reed erzählt. Sie behauptet, er sei sehr gut.«
»Er ist jung, Pauline. Ich könnte mir vorstellen, daß ein junger Mann vielleicht etwas liberaler denkt. Ich werde ihn um die Informationen bitten, wenn es sein muß. Ich werde ihm Geld anbieten – alles, was er will. Ich werde nicht aufgeben. Ich möchte nicht so enden wie meine Mutter. Sie ist bei der Geburt ihres achtzehnten Kindes gestorben. Stell dir vor, sie war gerade erst neununddreißig geworden.«
»Ach ja«, sagte Pauline und fragte sich, ob es wirklich eine Methode gab, mit der eine Frau die Empfängnis eines Kindes verhüten konnte. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht. Ihre Zukunft als Mrs. Hugh Westbrook stellte sie sich immer nur mit einem Heer von Dienstboten und vielen gesunden und glücklichen Kindern vor. Aber an Schwangerschaften und an die Geburt dieser Kinder, die körperlichen Unannehmlichkeiten, an die
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