Traumzeit
Pauline jede Zurückhaltung. Wenn Hugh sich nicht zusammengenommen hätte, wäre es nicht bei dem Kuß geblieben, und Pauline hätte nicht mehr auf das verlockende Geheimnis der Hochzeitsnacht warten müssen. Hugh verhielt sich zwar wie ein echter Gentleman, aber Pauline spürte seine sexuelle Hochspannung, die geballte Energie, die ihn dazu zwang, ungestüm im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Er hatte sie mehr als jemals zuvor in Erregung versetzt.
»Du weißt einfach nicht, wie das ist«, sagte Louisa und betupfte sich die Augen mit einem Taschentuch. »Miles ist so fordernd. Kannst du dir vorstellen, Pauline, daß ich mich abends manchmal schlafend stelle, damit er mich in Ruhe läßt?«
»Louisa, das habe ich nicht geahnt. Kannst du denn nicht mit ihm darüber reden?«
»Mit ihm reden? Pauline, Miles spricht in meiner Gegenwart nicht einmal über Schafzucht, ganz zu schweigen von unseren persönlichen Dingen. Er ist sehr korrekt, weißt du.«
»Ja, das weiß ich«, sagte Pauline und wunderte sich wieder einmal darüber, weshalb ihre lebenslustige Freundin einen so steifen und verknöcherten Mann geheiratet hatte. Als Miles Hamilton seine Louisa vor sieben Jahren am Altar küßte, hatte Pauline den Eindruck gehabt, er beiße in eine saure Zitrone. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß dieser Mann im Schlafzimmer fordernd sein sollte …
»Ich bin so unglücklich, Pauline. Ich weiß nicht, ob ich das noch länger durchhalten kann.«
Pauline wünschte allmählich, ihre Freundin wäre nicht gekommen. Sie verabscheute emotionale Ausbrüche und fand sie geschmacklos. »Meine liebe Louisa«, sagte sie energisch, »du mußt lernen, die Kontrolle zu behalten. Tränen können deine Lage nicht verbessern.«
»Jetzt kannst du das noch sagen, Pauline. Aber warte nur, bis du verheiratet bist. Dann sieht es auch für dich ganz anders aus.«
»Ich habe nicht die Absicht, zuzulassen, daß mein Leben sich ändert, nur weil ich veheiratet bin. Verheiratet oder nicht verheiratet, ich werde und will immer die Kontrolle behalten. Und so solltest auch du anfangen zu denken. Es gibt bestimmt eine Lösung, Louisa. Wenn Miles nicht mit sich reden läßt, dann setz dich einfach durch. Schlaf in einem anderen Zimmer. Erklär ihm, du seist müde oder gesundheitlich angegriffen. Du kannst die Sache in die Hand nehmen, Louisa. Du mußt nur den Entschluß fassen, es energisch zu versuchen.«
Louisa zerknüllte das Taschentuch und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Dann sagte sie beinahe flüsternd: »Das habe ich bereits versucht. Pauline …, ich habe etwas Schreckliches getan.«
Als Louisa bedeutungsvoll schwieg, sagte Pauline schließlich: »Meine Liebe, du weißt doch, was du auch sagen wirst, es bleibt in diesen vier Wänden.«
Louisa trat ans Fenster und blickte auf den Park von Lismore, von dem es allgemein hieß, er sei der schönste in ganz Victoria. Er umfaßte hundert Morgen Land. Obstgärten, gepflegte Rasenflächen, ein See und ein Wildgehege umgaben das herrschaftliche Haus im Tudorstil. Es befand sich weit genug entfernt von der Schaffarm, so daß man nichts von dem geschäftigen Treiben hörte oder sah, sondern wirklich glauben konnte, man befinde sich auf einem Landsitz in England. Louisa sah weiter unten die mit Steinplatten belegte Terrasse, wo Pauline und Frank ihre Gartenfeste feierten. In der Nähe befanden sich der Rasen für das Crocketspiel und ein Schießstand zum Bogenschießen. Dahinter lagen die Dienstbotengebäude, der Holzschuppen, das Waschhaus, die großen Stallungen für die Pferde und die Remisen. Louisa wußte, daß fünfzig Dienstboten Haus und Gelände für Frank und Pauline pflegten und noch sehr viel mehr Leute auf der Farm arbeiteten. Lismore war eine kleine Stadt mit Schmied, Stellmacher, Veterinär, einem Laden und genügend Unterkünften für die Angestellten und die Saisonarbeiter. Auch darum beneidete Louisa ihre Freundin Pauline.
Würde Pauline sie verstehen? Konnte eine Frau, die ein so behütetes Leben führte, sich auch nur annähernd vorstellen, was sie durchmachte?
Louisa war auch bewußt, daß Pauline schon immer übertrieben verwöhnt worden war. Der alte Downs hatte in seiner Jugend in England als Stallbursche gearbeitet und oft mit Bitterkeit über die Härten und das Elend dieser Jahre gesprochen. Man hatte ihn herumgestoßen und mit Fußtritten behandelt wie einen Hund. Er wurde ohne Grund ausgepeitscht und mußte das Unrecht der Reichen erdulden, weil er sich nicht
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