Traumzeit
Einwände mehr gegen ihre Anwesenheit auf Merinda. Joanna hatte manchmal das eigenartige Gefühl, daß er sie mittlerweile beschützen wollte.
»Dort steht jemand, den Sie nach der Kultur der Aborigines befragen sollten, Mr. McNeal«, Joanna deutete über den Fluß. Der Architekt sah den alten Mann, der wie eine Statue am Ufer stand. Er sagte: »Vielleicht kann Sarah mir auch Auskunft geben. Bei den Indianern in Amerika, bei denen ich gewesen bin, kreiste das Leben um Gesänge. Sie sangen oft stundenlang, manchmal sogar mehrere Tage. Ihre Gesänge waren ihnen das Wertvollste – ihre Geschichte, ihre Kunst, ihre Religion. Der Gesang des Coyoten setzt sich zum Beispiel aus mehr als dreihundert Gesängen zusammen.«
»Was ist ein Coyote?« wollte Adam wissen.
»Ein Steppenwolf, der in Amerika lebt. Er ist kleiner als eure Dingos.«
Joanna überlief ein Schauer. In der vergangenen Woche hatte sie morgens hier im Garten gearbeitet. Als sie den Kopf hob, sah sie plötzlich einen Dingo zwischen den Bäumen. Er blieb stehen und starrte sie an, dann schlich er davon. Noch jetzt erinnerte sie sich an die Angst, die sie beim Anblick des wilden Hundes erfaßt hatte. Mit Schrecken wurde ihr bewußt, daß sie die panische Furcht ihrer Mutter vor Hunden geerbt hatte.
»Weshalb sind Sie nach Australien gekommen, Mr. McNeal?« fragte sie.
»Man könnte vermutlich sagen, auch ich suche etwas. Ich habe im Osten von Amerika studiert. Ich dachte, ich würde auf dem College alles lernen, was man wissen muß. Aber nach dem Examen habe ich erkannt, daß ich nur wenig wirklich Wissenswertes und Nützliches wußte, Mein Vater ist im Krieg in einem Ort namens Manassas gefallen. Meine Mutter ist über seinen Tod nie hinweggekommen. Ich wollte wissen, warum es so etwas wie Krieg gibt. Ich wollte wissen, weshalb die Welt so ist, wie sie ist. Ich bin durch Amerika gereist und habe Antworten gesucht. Ich habe einige Zeit bei den Indianern verbracht. Dann habe ich Amerika verlassen und bin hierhergekommen.«
Er blickte auf Sarah, die mit Adam den Armreif betrachtete. »Ich fürchte, wir haben ein Problem, Mrs. Westbrook. Ich habe mir heute vormittag die Gegend hier unten am Fluß angesehen. Bei diesen Felsen ist der beste Platz für ihr Haus. Eindeutig wußten das auch die Menschen, die hier vor langer, langer Zeit gelebt haben. Überall sonst ist der Boden zu sandig und zu feucht. Außerdem besteht die Gefahr von Überschwemmungen. Sie und Ihr Mann werden eine Entscheidung treffen müssen – entweder Sie bauen hier oder dort, wo Sie jetzt leben, auf dem Hof.«
4
Hugh hatte Neuigkeiten für Joanna. Er war in Eile nach Hause geritten. Als er vom Pferd sprang, hörte er, wie jemand ihn rief. Er kniff im hellen Licht der Märzsonne die Augen zusammen und sah einen Reiter, den er kannte. Es war Jacko. Ihm gehörten siebentausend Morgen Land nordöstlich von Merinda.
»Kann ich mit dir sprechen, Hugh?« fragte er.
Hugh war verschwitzt und müde. Außerdem wollte er unbedingt Joanna sehen. »Was gibt es, Jacko?« fragte er.
Jacko saß da. Er war dick, und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. »Es geht um das Dienstmädchen, Hugh. Ich bin hergekommen und wollte fragen, ob du die Stelle meiner Peony gibst.«
»Dienstmädchen?«
»Ich war heute morgen in der Stadt und habe von Poll Gramercy gehört, daß deine Frau eine Haushaltshilfe einstellen will, weil sie ein Kind bekommt.«
Hugh starrte den Mann an.
»Peony ist ein ordentliches Mädchen, Hugh«, sagte Jacko. »Sie ist vielleicht nicht sehr gescheit, aber sie ist ehrlich und still. Ja ja, sie wird jetzt achtzehn, und ich weiß, daß kein Mann sie heiraten wird. Meine Frau und ich, wir machen uns Sorgen um Peonys Zukunft. Was meinst du, Hugh?«
Hugh hatte Jacko kaum zugehört. Seine Gedanken überschlugen sich. Er dachte an Joannas Übelkeit in den letzten Tagen, an den verinnerlichten Ausdruck, der manchmal auf ihrem Gesicht lag, und er erinnerte sich an die besondere Fröhlichkeit, mit der sie an diesem Morgen nach Cameron Town gefahren war.
Er rief sich zur Ordnung. »Du sagst, das hast du von Poll Gramercy gehört?« Die Witwe Gramercy war die Hebamme am Ort.
»Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, daß ich einfach so herkomme, Hugh. Ich wußte natürlich, wenn erst einmal bekannt ist, daß du ein Dienstmädchen suchst, werden eine Menge Leute die Stelle wollen. Und meine Peony, na ja, also sie ist …«
Jacko verstummte, als er sah, wie Hugh nachdenklich das
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