Traumzeit
gerichtet war. Es kam von dem Anwalt in Bombay, der Joanna alle drei Monate die ihr zustehende Geldsumme überwies. Hugh ging eilig zum Fluß hinunter, wo er Joanna mit Adam, Sarah und dem Architekten aus Melbourne bei den Felsen fand.
»Papa!« rief Adam und eilte Hugh entgegen.
Als er das Paket sah, fragte er: »Was ist das?«
»Das ist für deine Mutter. Guten Tag, Mr. McNeal.« Er gab dem Architekten die Hand. »Wie ich sehe, haben Sie uns gefunden.«
»Ihre Frau und ich haben gerade über den Platz für das neue Haus gesprochen.«
»Bevor Sie weitersprechen, Mr. McNeal«, sagte Hugh und legte seinen Arm um Joanna Hüfte, »möchte ich etwas richtigstellen. Als wir uns vor einem Jahr trafen, habe ich Ihnen gesagt, wir wollen ein amerikanisches Haus mit Säulen und einem Giebeldach. Sie nannten es den Plantagenstil der Südstaaten. Aber wir haben unsere Meinung geändert. Meine Frau und ich möchten ein australisches Haus, das für dieses Klima und diese Umgebung geeignet ist. Wir möchten kein Haus, das verrät, woher wir kommen oder wo wir vielleicht lieber wären. Wir wollen ein Haus, das zu dem Land gehört, in dem wir leben.«
Als er sah, wie McNeal die Stirn runzelte, fragte er: »Was ist?«
»Hugh«, sagte Joanna, »es gibt ein Problem.«
Als sie ihm den Zusammenhang mit den heiligen Felsen erklärte, sagte Hugh: »Aber wir können das Haus nur hier an dieser Stelle bauen. Hier haben wir eine Felsplatte als Fundament, die Entwässerung ist gut, und wir sind vor Überschwemmungen sicher.«
»Aber es ist ein Platz der Traumzeit«, erwiderte Joanna. »Diese Stelle ist heilig.«
»Joanna, die Aborigines leben nicht mehr hier. Sie kommen nicht einmal mehr hierher. Sie haben diese Stelle vergessen, Joanna. Sie vergessen alle Plätze der Traumzeit. Und irgendwo müssen wir unser Haus bauen. Wir können nicht ewig in dem kleinen Rindenhaus leben.«
Als er ihr bekümmertes Gesicht sah, fragte er McNeal: »Was meinen Sie?«
»Ich weiß nicht, Mr. Westbrook. Vielleicht läßt sich ein anderer Bauplatz finden. Ich muß Bodenproben nehmen und feststellen, wo es Sand und wo es Ton gibt. Man müßte auch die Wasserstände überprüfen und ähnliches. Wenn Sie kein Haus im amerikanischen Stil wünschen, dann kann ich einen Entwurf machen, mit dem sich das Problem lösen läßt.« Er lächelte. »Das ist für mich eine Herausforderung. Aber es macht mir Spaß. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich mich sofort nach einer anderen geeigneten Stelle umsehen.«
»Aber natürlich bin ich einverstanden.«
McNeal ging hinunter zum Fluß. Nach kurzem Zögern folgte ihm Sarah mit Adam.
»Hugh«, fragte Joanna, »woher kommt das Paket?«
Er sah sie erwartungsvoll an und fragte: »Was hat Poll Gramercy gesagt?«
»Woher weißt du, daß ich bei Mrs. Gramercy gewesen bin? Hugh, es sollte doch eine Überraschung sein!«
»Du kannst mir glauben, Joanna, es ist eine Überraschung. Aber was hat sie gesagt?«
»Mrs. Gramercy hat meine Vermutung bestätigt. Wir bekommen ein Kind!«
Hugh nahm sie in die Arme und küßte sie. »Was wünschst du dir, einen Jungen oder ein Mädchen?« fragte er.
»Deinetwegen hoffe ich, daß es ein Junge wird«, erwiderte Joanna. »Aber ich wünsche mir eine Tochter. Ich habe schon immer ein Mädchen haben wollen.«
»Ich würde mich auch über ein Mädchen freuen. Ich hatte nie Schwestern und kannte auch meine Mutter nicht. Ich dachte immer, wie schön es sein müßte, eine Tochter zu haben.«
Er küßte sie und drückte sie fest an sich. Er konnte es noch immer nicht glauben, daß diese geliebte Frau vor eineinhalb Jahren wie durch ein Wunder in sein Leben getreten war und es völlig auf den Kopf gestellt hatte. Er dachte an die Ballade, an der er arbeitete:
›Sie kam über das große Meer/In dieses goldene Land …‹
Es würde die längste Ballade werden, die er je geschrieben hatte. Sie war beinahe fertig und plötzlich fiel ihm auch der Titel ein:
Traumzeit – für Joanna.
»Tim Forbes hat das für dich abgeliefert«, sagte Hugh und gab ihr das Paket. »Es ist eine Eilsendung.«
»Es kommt von Mr. Drexler!« rief sie überrascht und begann, Siegel und Schnur zu entfernen.
»Und auch ich habe Neuigkeiten«, sagte Hugh. »Joanna, erinnerst du dich, daß ich dir von einem Mann erzählt habe, den ich in Melbourne kennenlernte, als ich die letzte Lieferung Wolle in den Hafen brachte? Er hieß Finch?«
Joanna dachte nach und ihr fiel es wieder ein – im letzten November
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