Traumzeit
Rindenhaus anstarrte. Joanna war also bei der Hebamme gewesen.
»Wirst du es dir überlegen, Hugh?«
Er sah Jacko an. Jedermann im Distrikt kannte das Schicksal der armen Peony Jackson. Sal, Jacksons Frau hatte ein Feld gepflügt, als zwei Monate vor der Zeit die Wehen einsetzten. Ihr Mann war in Melbourne. Die Frau war ganz allein und konnte keine Hilfe holen. Es dauerte einen Tag und eine Nacht, bis das Kind auf die Welt kam, denn es war ihre erste Geburt. Sal war damals erst siebzehn. Niemand glaubte, daß das Baby überleben werde, aber es blieb am Leben. Peony war ein liebenswertes Mädchen geworden, sehr still und gehorsam, wenn auch etwas einfältig.
»Ich werde mit meiner Frau darüber reden, Jacko«, sagte Hugh, »aber ich glaube, Peony kann die Stelle haben. Also, wenn du nichts weiter auf dem Herzen hast …« Hugh wollte den Mann verabschieden.
Aber Jacko blieb stehen. Er verscheuchte eine Fliege und wischte sich die Stirn. »Was ich noch sagen wollte, Hugh …« Die Worte fielen ihm sichtlich schwer, aber dann gab er sich einen Ruck. »Hast du schon gehört, daß ich Schwierigkeiten habe?«
»Nein, ich war in den letzten Tagen draußen bei den Schafen. Was ist los?«
»Meine Schafe haben die Räude. Ich bekomme dieses Jahr keine Wolle.«
Hugh schwieg betroffen. Er wußte, wie sehr Jacko kämpfen mußte, um seine Farm rentabel zu machen. Dieser Verlust konnte ihn ruinieren. Jacko hatte sechs Kinder, und das siebte war unterwegs. »Tut mir leid«, sagte Hugh, »das habe ich nicht gewußt.«
»Ich könnte schwören, daß dieser verdammte MacGregor dahintersteckt«, sagte Jacko und fuhr sich mit dem Taschentuch über das schweißnasse Gesicht, »er hat es schon lange auf mein Land abgesehen. Ich könnte wetten, daß er ein paar kranke Schafe unter meine Herde gemischt hat. Erinnerst du dich an Rob Jones, der das Land neben mir hatte? MacGregor hat ihn in den Bankrott getrieben. Ich kann es nicht beweisen, aber Rob mußte schließlich an MacGregor verkaufen, und jetzt will der Kerl auch mein Land.«
»Aber wie kommst du denn darauf, daß McGregor dahintersteckt?«
»Er hat seinen Vormann geschickt und mir einen Kredit angeboten. Sein Plan ist eindeutig, Hugh. Wenn ich das Geld nehme, und es passiert im nächsten Jahr wieder etwas, und ich bekomme keine Wolle, dann kassiert er meine Farm.«
Hugh blickte in Jackos breites, ehrliches Gesicht und ballte die Fäuste. Er wußte, wie sehr sich Colin McGregor in dem Jahr nach dem Tod seiner hochschwangeren Frau verändert hatte. Der Mann schien sich vor Haß- und Rachegefühlen zu verzehren, und seine Gier war grenzenlos. Er kaufte alles Land im Distrikt auf – und griff dabei wenn nötig auch zu skrupellosen Methoden. Er schien keine Moral und kein Gewissen mehr zu haben. Die anderen Schafzüchter zogen bereits kopfschüttelnd die Augenbrauen hoch. Hugh fürchtete, MacGregor habe auch ein Auge auf Merinda geworfen.
»Ich finde es nicht gut, wenn ein Mann von seinem Land vertrieben wird«, sagte Hugh. »Sag MacGregors Vormann, daß du den Kredit nicht willst. Ich leihe dir das Geld.«
Jacko mußte schlucken. »Das würdest du tun, Hugh? Kannst du das?«
Hugh dachte an das Haus, das sie bauen wollten, an den teuren neuen Zuchtwidder, den er unter allen Umständen kaufen mußte, an die Brunnen, die gebohrt werden sollten – und jetzt … war auch noch ein Baby unterwegs. Aber er hatte seine Schafe inspiziert, und alles wies darauf hin, daß er im November mit einem guten Schurergebnis rechnen konnte. »Mach dir keine Gedanken, Jacko«, erwiderte er, »ich komme schon irgendwie zurecht. Und nach der Schur im nächsten Jahr wirst du wie wir alle wieder Wolle in Melbourne verkaufen.«
Jacko ritt davon. Hugh eilte die Verandastufen hinauf und betrat das kühle Rindenhaus. Joanna war nicht da, aber ihr Hut lag auf dem Tisch, und auf dem Boden stand der Einkaufskorb mit den Zeitungen und Zeitschriften, die sie immer für ihn abholte.
Er ging wieder nach draußen und sah Tim Forbes in den Hof reiten. Der junge Mann verdiente sich Geld als Bote in Cameron Town. Er war offenbar schnell geritten, und Hugh sah den Postsack hinter dem Sattel. »Eine Eilsendung für Sie, Mr. Westbrook!« rief er. »Hier müssen Sie den Empfang mit Ihrer Unterschrift bestätigen.«
Hugh unterschrieb und erhielt ein rechteckiges Paket. Es war ordnungsgemäß in braunes Packpapier gewickelt, versiegelt und verschnürt. Er blickte auf die Adresse und sah, daß es an Joanna
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