Traumzeit
darüber, aber ich habe große Achtung vor heiligen Orten.«
Er sah, daß trotz der Vorsicht ein Funken Interesse in ihren Augen aufleuchtete. »Du erinnerst mich an eine junge Frau, die ich einmal kannte«, sagte er, »an eine Navajo, eine amerikanische Indianerin. Ich war verletzt, und sie hat mich gepflegt. Ihr Name bedeutete in unserer Sprache ›Blütenstaub im Wind‹. Ich habe versucht, die Zeichen auf diesen Steinen zu entziffern. Weißt du, was sie bedeuten? Blütenstaub im Wind lebte in der Nähe eines Canyons. Dort gab es ähnliche Steine mit Zeichnungen. Die Indianer sagten, dort hätten einst die Anasazi gewohnt, die ›Fremden‹. Sie hinterließen auf den Steinen Zeichen wie diese hier.«
Er bewegte den Arm und bemerkte, wie ihre Augen sich auf sein Handgelenk richteten.
»Wie ich sehe, gefällt dir mein Armreif«, sagte er, nahm ihn ab und zeigte ihn Sarah. »Er stammt von den Indianern. Komm«, forderte er sie auf, »sieh ihn dir näher an.«
Sarah wich plötzlich zurück.
»Tjuringa«,
sagte sie.
»Aha, du
kannst
also sprechen. Ich weiß nicht, was ein …
Tjuringa
ist. Ich trage den Reif, weil er mich an einen besonderen Menschen erinnert. Er erzählt eine Geschichte … siehst du? Oben ist ein Regenbogen und unten eine Schlange. Die Schlange war das Totem von Blütenstaub im Wind.«
Sarah bekam große Augen.
»Sag mir, was für ein Ort das hier ist«, bat er sie. »Ich würde es wirklich gerne wissen.«
Sarah drehte den Kopf in Richtung Fluß und blickte über die fahle braune Erde, die im spätsommerlichen Licht leuchtete.
»Ich stelle dir Fragen, die ich nicht stellen dürfte, nicht wahr?« fuhr McNeal fort und schob den Armreif wieder über das Handgelenk. »Blütenstaub im Wind verhielt sich ähnlich wie du. Ihr Stamm hatte viele Jahre gegen die weißen Soldaten gekämpft. Schließlich mußten sie durch die Wüste ziehen und an einem Ort leben, der nicht das Land ihrer Vorfahren war. Blütenstaub im Wind hat mir anfangs auch nicht vertraut, aber später tat sie es. Meine Regierung war der Ansicht, daß die Indianer lernen sollten, in richtigen Häusern zu leben. Ich bin ein Architekt. Und das war meine Aufgabe bei den Indianern – ich sollte ihnen zeigen, wie man Häuser baut wie die Weißen.«
Sarah blickte den Mann wieder an. Sie fand ihn schön trotz der etwas krummen Nase – offenbar mußte er sie sich irgendwann einmal gebrochen haben. Seine Stimme klang daher etwas nasal, und er sprach über Dinge, die sie noch nie aus dem Mund eines Weißen gehört hatte – über Totems, Indianerstämme, heilige Orte und Regenbogenschlangen.
»Sarah«, sagte sie leise.
Er zog die Augenbrauen hoch. »Ist das dein Name? Sarah? Das ist ein sehr schöner Name. Ich weiß, wenn du hier lebst, dann werden wir Freunde. Ich habe den Auftrag, hier ein Haus zu bauen.«
Unsicherheit zeigte sich auf Sarahs Gesicht, aber ehe er noch etwas sagen konnte, hörten sie Schritte. Er drehte sich um und sah eine junge Frau kommen. Sie hatte einen kleinen Jungen an der Hand.
»Guten Tag«, grüßte die Frau. »Sie müssen Mr. McNeal sein. Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Joanna Westbrook.« Sie reichten sich die Hände, und McNeal stellte fest, daß Hugh Westbrooks Frau jünger war, als er erwartet hatte. Sie war vermutlich ein paar Jahre jünger als er selbst und sie war sehr schön. Sie hatte große, klare bernsteinfarbene Augen, und die hochgesteckten dichten braunen Haare enthüllten leuchtendblaue Ohrringe. Sie trug ein blaßgrünes Kleid mit einer Brosche am Hals.
»Wie ich sehe, haben Sie sich mit Sarah schon bekannt gemacht«, sagte Joanna.
»Ja«, erwiderte McNeal, »sie möchte offenbar nicht, daß ich hier bin.«
»Dieser Ort ist für die Aborigines etwas Besonderes, Mr. McNeal. Sarah lebt bei uns auf Merinda.«
»Sarah ist meine Freundin«, erklärte Adam, und McNeal lachte. Er lächelte den Jungen an und sagte: »Da kannst du aber froh sein.«
»Das ist Adam«, sagte Joanna. Adam sah McNeal staunend an. »Warum hast du so lange Haare?« fragte er.
McNeal antwortete lachend: »Als ich bei den Indianern in Amerika lebte, habe ich gelernt, meine Haare so zu tragen. Ich habe viel von ihnen gelernt.« Nach einem Blick auf Sarah fragte er: »Warum sind diese Felsen für Sarah heilig, Mrs. Westbrook?«
»Die Aborigines glauben, die Känguruh-Ahne ist in der Traumzeit an diesen Ort gekommen und hat ihn ins Leben gesungen, das heißt, erschaffen. Ihr Geist ist noch immer hier.
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