Traveler - das Finale
würde ich noch heute Abend einsteigen. Die meisten Touristen bleiben nicht länger als einen oder zwei Tage. Sie besteigen den Berg Sinai, warten auf den Sonnenaufgang, kaufen ein T-Shirt und steigen wieder in den Bus. Wenn wir länger bleiben, werden wir Misstrauen erregen.«
Die drei Männer gingen ins Restaurant, um etwas zu Abend zu essen. Als sie auf die Terrasse zurückkamen, hob sich die schwarze Silhouette der Berge vom immer noch schwach erleuchteten Himmel ab. Eine Gestalt trat aus der Dunkelheit und näherte sich der Terrasse, und sie erkannten den Teenager mit dem verkrüppelten Bein, der ihr Gepäck auf die Zimmer getragen hatte. Mit nervöser Miene trat er an Linden heran und flüsterte ihm etwas auf Französisch zu. Linden drückte dem Jungen einen Geldschein in die Hand und verscheuchte ihn.
»Wir sollten sofort aufbrechen. Der Cousin des Jungen arbeitet unten am Kontrollpunkt. Er sagt, eben wären Männer
in einem silbernen Pickup eingetroffen, um mit dem Captain zu sprechen.«
Gabriel und Simon standen sofort auf. Sie folgten Linden von der Terrasse und stiegen in der Dunkelheit einige Hundert Meter weit bergan.
»Sind das Tabula?«, fragte Gabriel.
»Das bezweifle ich. Der Junge sagt, es handele sich um Militärpolizisten. Vermutlich wollen sie uns bloß ein paar Fragen stellen, um auszuschließen, dass wir israelische Spione sind.«
»Dann sollten sie sich ihre Bestechungsgelder redlich verdienen«, sagte Simon zu Linden. »Ich werde ausschließlich Italienisch reden. Und Sie Französisch.«
»Und ich?«, fragte Gabriel.
»Ich werde ihnen erklären, dass Sie den Berg Sinai bestiegen haben, um zu beten.«
»Ja. Sie sind sehr gläubig.« Simon lachte leise. »Wir werden niemandem verraten, dass Sie in die Kapelle einbrechen wollen.«
Die drei Männer stiegen die Schlucht zum Kloster hinauf, immer darauf bedacht, nicht über die Steine auf dem Pfad zu stolpern. Gabriel hörte die Kamele in der Dunkelheit schnaufen. Die Beduinen bereiteten alles für die Pilger vor, die wenige Stunden vor Sonnenaufgang kommen würden. Angesichts der düsteren Landschaft und der schwarzen Bergsilhouetten fühlte Gabriel sich müde und unglaublich einsam. Dieser Ort war weder Himmel noch Hölle, sondern eine Art Zwischenwelt.
Nach etwa zehn Minuten erreichten sie das Wasserrohr, das Gabriel am Nachmittag entdeckt hatte. In der Nacht wirkte der Klosterwall noch imposanter – wie eine unüberwindliche Barriere.
»Sie warten hier«, flüsterte Linden. »Ich werde mich kurz umsehen.« Er verschwand hinter der südöstlichen Mauerecke.
Simon Lumbroso setzte sich auf einen Findling und betrachtete den Mond, der über dem Berg Sinai aufging. »Langsam verstehe ich, warum Moses die Israeliten an diesen schrecklichen Ort führte. Die Landschaft ist so einfach und nackt wie ein leeres Zimmer. Hier lenkt nichts von Gottes Wort ab.«
Gabriel hob den Blick gen Nachthimmel, ohne die Schönheit der Sterne zu sehen. Einige davon waren vor Milliarden von Jahren erloschen, und dennoch reiste ihr Licht durchs Universum.
»Linden glaubt, Maya sei tot.«
»Niemand weiß, was ihr zugestoßen ist. Alles ist denkbar.«
»Sie ist in die Erste Sphäre hinübergewechselt, um sich für mich zu opfern.«
»Gabriel, es war ihre freie Entscheidung. Ich habe in Rom mit ihr darüber gesprochen.«
Linden kam zurück. »Die Außentore sind geschlossen, und weit und breit ist niemand zu sehen. Sie können raufklettern. Hoffentlich schlafen die Mönche noch.«
Gabriel umklammerte die Wasserleitung mit Händen und Beinen und fing an, sich hinaufzuschieben. Selbst im Dämmerlicht konnte er die verschiedenen Gesteinsschichten der Mauer erkennen. Die unterste, gut zehn Meter hohe Schicht bestand aus massiven Sandsteinblöcken, die die Soldaten des Kaisers Justinian aus dem Berg geschlagen und hergeschleppt hatten. Die Blöcke der zweiten Schicht waren merklich kleiner, kaum mehr als dreißig Zentimeter breit, und wurden von Mörtel zusammengehalten. Als seine Arme und Schultern zu schmerzen anfingen, hatte Gabriel den letzten Abschnitt erreicht, eine einen Meter hohe Schicht aus ungleichmäßigen Steinen und Steinchen, die die Mönche während ihrer Wanderungen gesammelt hatten. Gabriel warf einen Blick nach unten und sah, dass Simon und Linden sich vom Kloster entfernten.
Er packte die Kante des ersten Flachdachs und zog sich hoch.
Auf dem Dach hatten sich zerbrochene Ziegelsteine und rostige Rohre angesammelt. Vorsicht, dachte er. Du
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