Traveler - das Finale
heraustrat. Sein Gesicht kam Maya bekannt vor, aber sie weigerte sich, irgendwelche Schlüsse zu ziehen. War das wirklich Gabriel, oder spielte ihr Verstand ihr einen Streich?
Der Traveler rannte ans Ende des Lesesaalbodens, ruderte mit den Armen und schrie Mayas Namen, aber die Dunkelheit umschlang sie wieder. Maya trieb in einem schwarzen Teich und versank langsam unter der Wasseroberfläche. Sie schlug um sich und strampelte, um wieder ans Licht zu kommen. Als sie aufwachte, kniete Gabriel neben ihr. Er nahm sie auf seine Arme und trug sie über die provisorische Brücke. Der Rauch ließ sie husten, und sie sah flammende Explosionen, als der Lumpenmann sie eine Treppe hinunter und ins Freie führte.
»Versuch, wach zu bleiben«, sagte Gabriel, »ich bringe dich zum Einstiegspunkt.«
»Der … liegt … im … Flussbett«, lallte Maya.
»Ich habe einen anderen gefunden. Wir gehen zusammen.«
Als Gabriel sie durch die Ruine eines ausgebrannten Hauses trug, spürte Maya die Speerspitze in ihrem Bein. Der zerlumpte Mann drehte sich immer wieder argwöhnisch um.
»Da hinten ist eine Patrouille. Können Sie sie sehen? Am Ende der Straße.«
Sie fingen an zu laufen. Jetzt wurden sie verfolgt, und Maya
war zu schwach, um zu kämpfen und den Traveler zu beschützen.
»Sie haben uns gesehen«, keuchte der Lumpenmann. »Hier entlang, Gabriel. Nein. Hier entlang.«
»Der Weg ist zu weit«, sagte Gabriel. »Das schaffen wir nie.«
»Ich werde hierbleiben und sie ablenken«, antwortete der Mann. »Vergessen Sie mich nicht. Mehr verlange ich nicht von Ihnen. Vergessen Sie meinen Namen nicht.«
Und dann spürte Maya eine unglaubliche Kälte. Sie fiel durch eine lange Röhre, aber Gabriel hielt sie immer noch im Arm. Sie klammerte sich an ihm fest, hörte seinen Herzschlag und fühlte seine warme Haut.
»Kannst du mich hören?«, fragte er. »Wir sind in Sicherheit. Wir sind wieder in unserer Welt. Mach die Augen auf, Maya. Mach die Augen auf.«
SECHZEHN
H ollis verließ das Liebeshotel, trat in die kalte Nachtluft hinaus und lief bergab auf die hohen Bürotürme neben dem Bahnhof von Shibuya zu. Das Adrenalin, das seinen Körper während des Kampfes überschwemmt hatte, war längst abgebaut. Er fühlte sich so klein und hilflos wie ein Herbstblatt, das durch die Straßen geweht wird.
Die aus China importierte Automatikpistole steckte hinten in Hollis’ Hosenbund. Er konnte die schwere Waffe kaum ignorieren, weil Lauf und Abzugbügel in seine Haut drückten. In ein Hotel zu gehen oder zum Flughafen zurückzufahren wäre zu gefährlich. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, folgte Hollis zu Fuß dem Shuto Expressway. Im Licht der Natriumdampflampen glitt sein tiefschwarzer, scharf umrissener Schatten über den Asphalt.
Ein paar Kilometer nördlich des Bahnhofs kam er an einem Einkaufszentrum mit Glas- und Stahlfassade vorbei, dessen Läden über Nacht geschlossen hatten. Ein Neonschild warb auf Japanisch und Englisch für das Gran Cyber Café im zweiten Stock.
Internetcafés gab es auf der ganzen Welt. Normalerweise handelte es sich um gut beleuchtete Räume, in denen die Leute Seite an Seite saßen und auf Computertastaturen einhackten. Das Gran Cyber Café bildete eine Ausnahme. Hollis betrat einen fensterlosen Raum, in dem dieselbe schummrige, immergleiche Dämmerung herrschte wie in einer Spielhölle oder einer Kirche. Die Besucher saßen in weißen Arbeitszellen versteckt. Es roch nach Zigaretten und dem indischen
Curry, das das Mädchen hinter dem Tresen gerade in der Mikrowelle aufgewärmt hatte.
Die junge Japanerin trug Piercings in Nase, Ohren und Zunge. Sie empfahl Hollis das Nachtpaket, das ihm erlauben würde, sich bis zum nächsten Morgen in einer der Nischen aufzuhalten. Hollis lief durch den Irrgarten aus Zellen, bis er Nummer 8-J gefunden hatte. Er betrat den engen Raum und sah einen gepolsterten Ledersessel, einen Computer, einen Fernseher, einen DVD-Player und einen Controller für Computerspiele.
Hollis starrte auf den Bildschirm und überlegte, an wen er sich wenden könnte. Gabriel und Simon waren irgendwo in Ägypten. Seine Freunde und Verwandte in Los Angeles mussten glauben, er wäre tot oder säße in irgendeinem Gefängnis in der Dritten Welt. Vor seiner Ausreise aus den USA hatte er seinen Führerschein und alle Kreditkarten entsorgt. Die Bank hatte sein Haus pfänden lassen, und vermutlich war es längst zwangsversteigert worden. Das System verfolgte die Menschen und
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