Traveler - das Finale
»Gut.«
»Was ist mit dem Stock?«
»Steck dir einen Stein in den rechten Schuh, dann musst du humpeln.« Billy griff in die Tüte und zog eine kleine Sauerstoffflasche an einer Nylonschnur heraus. »Ich bin dein Pfleger – was bedeutet, dass ich dich stütze und deine Tasche trage.«
»Und du meinst, das wird funktionieren?«
»In Japan bringt es Unglück, einen Kranken anzustarren. Wenn du aussiehst wie kurz vorm Sterben, werden die Leute sich von dir abwenden.«
Sie fuhren direkt zum Bahnhof von Shinjuku und kauften Fahrkarten für den nächsten Hochgeschwindigkeitszug nach Hachinohe. Billy wusste genau, wo man sich anstellen und wonach man am Schalter verlangen musste. Während er Hollis durch den weitläufigen Bahnhof führte, erzählte Billy, er verdiene sein Geld damit, japanische DVD-Hüllen für Hollywoodfilme zu entwerfen.
»Warst du jemals in den USA?«, fragte Hollis.
»Nein«, sagte Billy, »aber das macht nichts.« Anscheinend zog er seine eigene, idealisierte Version von Amerika der Realität vor.
Sie bestiegen den Zug eine Minute vor der Abfahrt und setzten sich auf ihre reservierten Plätze. Jeder, der durch den Mittelgang kam, schien sich über den todkranken Schwarzen, der direkt neben einem japanischen Elvis saß, zu wundern.
»Kannst du deine Frisur ändern?«, fragte Hollis.
»Wie meinst du das?«
»Ich mag krank aussehen, trotzdem starren die Leute dich an.«
»Meine Frisur ist megacool«, erwiderte Billy und zog einen Handspiegel heraus, um die Tolle zu begutachten.
»Damals vielleicht – 1955.«
»Wegen meiner Frisur wurde ich sogar schon auf der Straße verprügelt. Wegen meiner Frisur redet mein Bruder nicht mehr mit mir. Meine Frisur ist cool, weil ich es sage.«
Nach einer im Flüsterton geführten Debatte war Billy immerhin bereit, seine Lederjacke gegen eine Allwetterjacke zu tauschen. Er setzte sich Kopfhörer auf und nickte im Takt, während Hollis aus dem Fenster sah und beobachtete, wie die Stadt sich ausdünnte. Bald waren keine Apartmenttürme mehr zu sehen, stattdessen zogen sich rechts und links der Gleise Äcker und akkurat angelegte Kiefernschonungen dahin. Die Krähen in Tokios Innenstadt waren Einzelgänger, aber auf dem Land rotteten die Vögel sich zu Schwärmen zusammen. Krähen hockten auf den Strommasten und den riesigen grünen Käfigen, in denen japanische Golfer ihren Abschlag übten. Die Krähen sammelten sich zwischen den Stoppeln der überfrorenen Reisfelder und erhoben sich in den Himmel wie schwarze Pünktchen, wenn der Zug an ihnen vorbeidonnerte.
Am späten Abend erreichten sie Hachinohe, eine Pendlerstadt, die sich zwischen zwei Hügeln erstreckte. Nur die über
alle Straßen gespannten Telefon- und Stromkabel schienen die Stadt zusammenzuhalten. Als sie den Bahnhof verließen, begann es zu schneien. Der Schnee sammelte sich auf den schrägen Dächern und den Balkonen der wenig solide wirkenden, dreistöckigen Wohnhäuser. Er blieb in Billys Haaren hängen, als sie sich auf den Weg zu einer traditionellen Herberge machten. Der Herbergsbesitzer hatte gerade erst neue Tatami-Matten angeschafft, und als Hollis sich auf den Boden legte, stieg ihm der Duft des gelblich-grünen Schilfs in die Nase. Er erinnerte ihn an frisch gemähtes Gras, an den Sommer und an glückliche Zeiten. Er betete zu Vicki, dann schlief er ein.
Am nächsten Morgen stapfte Billy los, wobei seine Motorradstiefel zwei Furchen im Schneematsch hinterließen. Nach dem Frühstück kam er in die Herberge zurück und erklärte Hollis, der Mann, der vor dem Bahnhof den Schnee räume, wisse alles über die Itako. Sie sei vor einigen Jahren ins noch weiter nördlich gelegene Mutsu gezogen, ein Küstendorf auf einer Halbinsel, die in die Meerenge von Tsugaru hinausragt.
»Wie weit entfernt ist das?«
»Der Regionalzug braucht etwa neunzig Minuten.«
»Lebt sie noch?«
»Das weiß keiner, Mann. Er sagt, die Itako wohne am ›toten Ort‹.« Billy verdrehte die Augen. »Ich fürchte, ich weiß, was damit gemeint ist.«
Eine Stunde später saßen Hollis und Billy in einem Zug mit nur zwei Wagons, der insgesamt kaum länger war als die Schnellbusse von New York City. Die Stahlräder klickten und klapperten, während der Zug sich durch ein tristes Vulkangebirge schlängelte. Nebel. Weißer Schnee auf schwarzen Felsen. Schließlich fuhr der Zug in einen Tunnel ein, und die Dunkelheit verschluckte alles. Als sie wieder das Tageslicht
erblickten, war das Meer kaum mehr als
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