Traveler - das Finale
wie von selbst erledigt.«
»Wie können Sie sich Richter nennen?«, fragte Maya. »Auf dieser Insel gibt es kein Gesetz.«
»O doch! Es gibt sehr wohl ein Gesetz. Und jeder befolgt es: Jede starke Einzelperson oder Gruppe kann die weniger Starken töten oder versklaven .« Der Richter schaute zu seinen Anhängern hinunter. »Diese Regel versteht selbst der Dümmste. In der Tat versteht er sie noch viel besser als der Kluge.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Weil ich zurzeit der Stärkste auf dieser Insel bin. Und damit der Einzige, der Ihr Leben retten kann.«
»Haben Sie zu dem Zweck Türme gebaut und Steine gesammelt?«
»Sie zu töten ist nur eine Alternative. Viel lieber möchte ich Sie als Verbündete gewinnen. Unsere Feinde im Hafenviertel haben zwei meiner Patrouillen abgeschlachtet. So ein paar Verräter sollten für einen Dämon, der alles tötet, was ihm in die Quere kommt, kein Problem darstellen. Sie brauchen mir nicht einmal Ihre Loyalität zu schwören – so etwas bedeutet mir nichts. Sie brauchen den anderen nur zu zeigen, wie sehr
Sie meine Autorität anerkennen. Kommen Sie auf die Brücke und geben Sie mir Ihr Schwert.«
»Damit Sie mich überwältigen können?«
Als er das hörte, fing der Richter zu schmunzeln an. »Für einen Dämon sind Sie nicht sonderlich clever. Selbstverständlich werde ich Sie überwältigen – irgendwann. Dafür bekommen Sie eine Chance, die anderen gegen mich aufzuhetzen und mich zu überwältigen. Dieses Risiko gehe ich ein.«
»Und was passiert, wenn ich Ihr Angebot ablehne?«
»Dann sterben Sie hier in der Bibliothek. Ihr Tod ist für mich von Vorteil. Er beweist, dass ich jeden vernichten kann, selbst einen Dämon.«
Der Richter trat einen weiteren Schritt vor und streckte die Hand aus, so als biete Maya ihm jetzt schon das Schwert an. »Kommen Sie. Vergeuden Sie nicht meine Zeit. Sie müssen mir gar nicht vertrauen, es reicht doch, wenn wir eine Abmachung treffen. Eine der Besonderheiten dieser Welt ist, dass man mit dem verhassten Feind zusammenarbeiten kann.«
»Mir gefällt es hier. Warum sollte ich meinen Platz verlassen?«
»Ich werde dafür sorgen, dass Sie Essen, einen sicheren Schlafplatz und vieles mehr bekommen. Ich werde Ihnen ein Beispiel zeigen.«
Der Richter schnipste mit den Fingern wie ein Restaurantgast, der die Rechnung verlangt. Zwei seiner Gefolgsleute verließen den Lesesaal und stiegen die Treppe hinunter. Minuten später kamen sie mit einem Gefangenen zurück, den sie auf den Fußboden zwischen den Tischen warfen. Es war Pickering.
Irgendjemand hatte dem kleinen Mann das Maul mit weißem Stoff gestopft, trotzdem versuchte er zu sprechen. Pickering riss die Augenbrauen hoch und ruckte mit dem Kopf. Er wirkte nicht wütend, sondern lediglich bemüht darum, seine Sicht der Dinge darzulegen.
»Diese Kakerlake hat Sie verraten und mit dem Verrat geprahlt«, sagte der Richter. »Sicherlich sind Sie darüber sehr verärgert. Was wollen Sie nun machen?«
Ein Seil wurde an eins der Tischbeine geknüpft und anschließend um Pickerings Hals gelegt. Der Richter hielt es für unnötig, den Gefangenen beim Namen zu nennen oder das Urteil zu verkünden; er nickte lediglich mit dem Kopf, woraufhin die Wärter Pickering über die Kante stießen. Er zuckte und strampelte sekundenlang, während er wie ein Pendel hin und her schwang.
»Bitte schön«, sagte der Richter. »Betrachten Sie es als Zeichen meines guten Willens. Und nun kommen Sie bitte herüber und händigen mir Ihre Waffe aus.«
Maya schaute zu dem Bündel aus Fleisch und Lumpen hinunter, das am Seilende baumelte. In einem Punkt hatte der Richter sich geirrt. Sie war ein Geist, kein Dämon. Ihre Lunge atmete noch, und ihre Augen blinzelten, aber innerlich war sie vollkommen leer. Das einzige Gefühl, das ihr geblieben war, war ihr Stolz. Ihr Stolz meldete sich wie eine Stimme, die von weit her ruft – schwer zu verstehen, aber nicht zu überhören. Beuge dich niemals dem Bösen. Folge niemals dem Befehl eines Unwürdigen.
Sie fühlte sich ruhig und zum Kampf bereit und zog ihr Schwert aus dem Köcher. Der Richter bemerkte die Verwandlung in ihren Augen. Erschrocken wich er zurück, wobei er fast über den Saum seiner Robe stolperte. »Angriff!«, schrie er. »Startet den Angriff! Sofort!«
Die Brücke wurde auf den Boden des Lesesaals gezogen, und dann prasselten Steine und Ziegel gegen die Säule. Ein Brocken traf Mayas Schulter, ein zweiter streifte ihren Kopf. Maya
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