Treffpunkt Irgendwo
stieg ich am Alexanderplatz aus und da war er dann. Mit Ella und noch ein paar anderen, die ich inzwischen vom Sehen her kannte, lehnte er wieder an der Säule. Als er mich sah, stellte er die Bierdose vor der Hauswand auf den Boden und kam auf mich zu. »Jana, entschuldige…«
Anstatt ihm zu antworten, bin ich in Tränen ausgebrochen. Er sagte nichts, hielt mich einfach im Arm und erst nach einer Weile sagte er: »Du hast mit deinen Eltern gesprochen.«
Ich nickte, schniefte in seine Schulter und musste erneut weinen. »Und ich wusste nicht einmal deinen Nachnamen«, brachte ich schließlich heraus.
»Ich heiße Len Göbel. Göbel wie Möbel nur mit G.«
»Danke.« Ich umklammerte ihn weiter. »Ich habe so gehofft, dass du hier bist.«
»Wo soll ich denn sonst hin.«
»Weiß ich nicht.«
»Und nun?«, fragte er.
»Weiß ich nicht«, antwortete ich und versuchte ein Lächeln. »Irgendwie wissen wir beide recht wenig.«
»Hmm.«
»Len, ich liebe dich.«
»Ach Jana.« Er drückte mich für einen Moment fest an sich, dann schob er mich von sich weg und packte meine linke Hand. »Lass uns gehen.«
»Wohin?«
»Ich will dir was zeigen.«
Len zog mich hinüber in den alten DB-Bahnhof.
»Was willst du hier?«
»Abwarten.« Er führte mich zu den Schließfächern. Vor dem Fach mit der Nummer 128 stoppte er, zog einen kleinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Türklappe. In dem Stahlfach dahinter lag eine flache dunkelblaue geöffnete Reisetasche, zudem zwei Plastiktüten.
»Das bin ich.« Len bückte sich und zog die Tasche heraus. »In den Plastiktüten sind die Klamotten. Die Lidltüte für die Dreckwäsche.«
»Wieso ein Schließfach?«, wunderte ich mich. »So ein Schließfach kostet doch Geld?«
»Klar, drei Euro den Tag, alle drei Tage muss ich das Fach wechseln. Aber es geht nicht anders. Ich hab keinen Bock, dass mir wieder meine Sachen geklaut werden.«
»Wer würde denn das klauen«, entfuhr es mir.
»Jana, du hast echt keine Ahnung.« Len schüttelte den Kopf. »War vermutlich einer von den Junks. Oder sonst wer.«
»Was ist in der Tasche?«
»’ne dicke Jacke, fünfzig Euro Reserve, mein Reisepass und halt mein Zeug. Sagen wir ich.« Ich beugte mich vor. Die Klamotten waren sorgfältig zusammengefaltet, obenauf lag ein zerfleddertes Taschenbuch. Der Titel war nur halb zu lesen, Fahrenhein, oder so.
»Zeig doch mal.«
»Nein.«
Len schob die Tasche zurück ins Fach, kramte drei Euro aus der Tasche und verschloss das Fach wieder.
»Mir haben sie diesen Winter drei Schlafsäcke geklaut. Ich habe eine Woche durchgemacht, weil ich keinen Platz zum Pennen hatte. Runter in die U-Bahn, Kontrolle, rauf in die S-Bahn. Wieder Kontrolle.« Len sah mich hart an. »Ich bin krank geworden, vierzig Fieber oder so. Ich dachte, ich kack ab. Ich sah absolut fertig aus. Keine Chance zum Schnorren oder jemanden Abziehen. Ella hat mich dann in das besetzte Haus gebracht.«
»Du Armer.«
»Deswegen erzähle ich dir das nicht.« Len packte erneut meine Hand. »Ich will nur, dass du das raffst!«
Er zog mich hinauf zu den Bahngleisen und in einen der roten Doppelstockwagen der Regionalverkehrszüge. »Ist egal, welche Linie, wir fahren nur bis Ostbahnhof.«
Dort angekommen stiegen wir aus, ich folgte ihm über den Bahnhofsvorplatz in eine Straße mit Kopfsteinpflaster hinein. Rechts und links waren barackenartige flache Garagen, eine Autowerkstatt.
»Was willst du mir denn hier zeigen?«
»Wirst du gleich sehen.«
Wir hatten das Ende der Schneise zwischen den Garagen erreicht und standen vor einem verrotteten Holzzaun. Entschlossen schob Len den Zaun an einer bestimmten Stelle zur Seite und führte mich auf das dahinterliegende Gelände. In etwa hundert Meter Entfernung verliefen die Bahngleise, das Areal war mit Müll und Schutt bedeckt. Links von uns war eine Art Lagerhalle. Vermutlich irgendein alter DDR-Betrieb. Das Flachdach halb eingestürzt, die Scheiben eingeschlagen, die Wände mit Graffiti besprüht. Len ging halb um das Haus herum und öffnete dann mit einem Fußtritt die rostige Eingangstür.
»Komm!«, forderte er mich auf.
Wir betraten einen großen, total vermüllten Raum. In der Ecke war eine selbst gebaute Feuerstelle, Wände und Decke darüber rußbedeckt. Nasse, vergammelte Klamotten lagen herum, zwei Einkaufswägen, dazwischen kaputte Stühle. Zwei ekelhaft angegammelte Matratzen ragten aus dem Müll und Schutt heraus.
»Hier habe ich den ganzen Herbst über gewohnt. Bis
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