Treffpunkt Irgendwo
Len mich nur einfach machen lassen würde, dann hätte ich das innerhalb kürzester Zeit organisiert. Und schließlich konnte ich ihm doch auch noch den Anwalt und den Richterfreund meines Vaters organisieren. Da würde sich garantiert was machen lassen.
Dass er lieber weiter in diesem Siff und Dreck leben, mit irgendwelchen Junkies abhängen, am Alex herumgammeln wollte, ging mir nicht in den Kopf. Man warf doch nicht einfach so seine Zukunft über Bord. Das Leben war lang, irgendwann war man älter als fünfzehn, zwanzig. Man konnte doch nicht einfach die Augen zumachen!
Als ich schließlich in unsere Straße einbog, kam der nächste Flash. Meine Mutter. Die hatte ich völlig vergessen.
»Jana!« Die Tür ging auf, noch bevor ich klingeln konnte. »Endlich!« Sie packte mich an der Schulter und zog mich ins Haus. Sie ließ mir nicht einmal Zeit, die Jacke auszuziehen, sondern zerrte mich ins Wohnzimmer, wo mein Vater am Tisch saß.
»Gut, dass du wieder da bist«, begrüßte er mich. »Komm, setz dich.«
Meine Mutter drückte mich auf den Stuhl schräg gegenüber meines Vaters, sie selbst setzte sich neben mich. Und dann ging es los.
»Wir haben uns Sorgen gemacht, wieso hattest du dein Handy nicht mitgenommen?«, fragte mein Vater.
»Vergessen.«
»Ehrlich, Jana, was soll das?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Jana!« Meine Mutter rückte mit ihrem Stuhl etwas näher zu mir. »Das geht so nicht. Du musst zumindest mit uns sprechen. Tut mir leid, wenn ich vorhin etwas überreizt reagiert habe, aber versuch doch bitte, mich wenigstens ein klein wenig zu verstehen. Da komme ich heim, stelle fest, meine siebzehnjährige Tochter hatte über Nacht jemanden in ihrem Zimmer, und als ich sie darauf anspreche, erfahre ich, es ist ein…« Für einen Moment fehlten ihr die Worte, doch dann fuhr sie fort: »Jemand, dessen Nachnamen du nicht einmal kennst, den weder Papa noch ich kennen, den keine deiner Freundinnen kennt und da…«
»Mama!«, rief ich erschrocken. »Hast du wen angerufen und von Len erzählt?«
»Natürlich!«, erwiderte sie überrascht. »Nachdem ich dich nicht auf dem Handy erreichen konnte, habe ich bei Mia, Franzi und Louisa angerufen. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Oh nein, Mama, was hast du ihnen erzählt?«
»Ich habe nur gefragt, ob du bei ihnen bist und ob sie wissen, wo dieser Len zu finden ist.«
»Du hast ihnen von Len erzählt«, schrie ich. »Wie konntest du?«
»Jetzt hör mal, nicht in diesem Ton, ja!« Nun wurde meine Mutter laut. »In unserem Haus wird miteinander gesprochen, nicht gebrüllt. Das weißt du.«
Was meine Mutter getan hatte, verschlug mir die Sprache. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte, das war alles zu viel.
»Jetzt beruhigt euch doch bitte erst einmal wieder. Beide«, mischte sich mein Vater ein. »Das gilt besonders für dich, Stefanie. So kommen wir doch nicht weiter.« Er fuhr mir mit seiner linken Hand über die Schulter. »Wichtig ist doch im Moment nur, dass du wieder da bist. Wir haben uns echte Sorgen gemacht. Alles andere wird sich finden. Versprochen.«
»Ach Papa…«, murmelte ich.
»Jana, du hast uns wirklich enttäuscht. Mama und ich haben gedacht, du wärst verantwortungsvoll genug, dass wir dich mal für vierzehn Tage allein lassen können. Und nun erfahren wir, dass du in dieser Zeit… Aber egal. Entscheidend ist, dass wir weiter Vertrauen zueinander haben. Du zu uns, wir zu dir. Dass wir in Kontakt bleiben, wissen, was geschieht, was in dem anderen vorgeht. Verstehst du?«
Ich nickte.
»Also, jetzt mal ganz zurück auf Anfang.« Mein Vater lächelte. »Dieser Len, erzähl mir von ihm. Wie ist er so… wie, ja, wie habt ihr euch kennengelernt. Nein, das weiß ich ja, wie ging das weiter?«
Ich sah meinen Vater an und öffnete schon den Mund, um ihm alles zu erzählen, da begriff ich plötzlich, was die beiden hier abzogen. Das war exakt das, was die Kommissare in diesen schwedischen Krimis immer taten. Das klassische Verhör. Meine Mutter als bad cop, mein Vater als good cop. Sie wollten mich ausquetschen, Infos bekommen. Von meinen Freundinnen hatten sie nichts erfahren können, da die nichts wussten. Ich kannte meine Eltern. Sie waren Lehrer, quasi berufsmäßig geschult darin, Jugendlichen auf die Schliche zu kommen. Ich hatte doch oft genug mitbekommen, wie sie bei Schülern mit Problemen vorgingen. Mein Vater sagte immer, zuerst einmal Vertrauen aufbauen, den Betreffenden da abholen, wo er emotional steht. Dann, wenn
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