Treffpunkt Irgendwo
Len hätte suchen können, war die Baracke am Ostbahnhof, doch dieses Siffloch wollte ich Mia ganz bestimmt nicht zeigen. Da schämte ich mich.
»Kann sein, dass er am Mehringdamm ist…«, überlegte ich laut.
»Und was macht er da?«
»Er und Ella wischen da doch Autoscheiben, manchmal.«
»Na ja, besser als Schnorren.« Mia schüttelte verwundert den Kopf. »Mein Vater hasst die. Er sagt immer, die Scheiben an unserem BMW sind anschließend dreckiger als vorher und dann wollen die auch noch Geld dafür.«
»Mag sein.« Dass ich Mia mitgenommen hatte, bereute ich inzwischen. Nicht nur, weil es mir peinlich war, ihr Lens Welt zu zeigen. Mehr noch ärgerte mich, dass ich das Gefühl hatte, dass sie mir irgendwie etwas wegnahm. Das mit Len war meine Sache, das war unser beider Ding, und wenn da jetzt jemand Drittes hinzukam, machte das irgendwie alles anders. Zudem stresste mich Mias Art, immer auszusprechen, was sie gerade dachte. Normalerweise fand ich das ja gut, dieses radikal Ehrliche. Aber jetzt nervte es, noch dazu, da sie immer genau die Fragen stellte, auf die ich keine Antwort hatte, ja mir bisher nicht einmal selbst offen gestellt hatte. Durch ihre Augen betrachtet, sah alles noch viel hoffnungsloser aus, als ich es mir selbst schon ausgemalt hatte.
»Wo da am Mehringdamm?«
»Oben am Landwehrkanal. Bei der SPD-Parteizentrale.«
»Okay, versuchen wir unser Glück.«
Da es inzwischen richtig angenehm warm geworden war, schlug ich vor, zu Fuß zu gehen. Da ich mit Len so viel durch die Straßen gelaufen war und auch alleine auf der Suche nach ihm, war mir das inzwischen fast angenehmer als die S- oder U-Bahn. Früher wäre ich nie auf die Idee gekommen. Allerdings mussten wir zweimal fragen, wo wir entlangmussten. Am Jüdischen Museum vorbei kamen wir dann endlich zur U-Bahn am Halleschen Tor, wo sie wie in Berlin so oft auf Stützen neben dem Landwehrkanal entlangdonnert, und bogen dort ab.
»Echt anders hier als bei uns…«, murmelte Mia. Ich nickte. Mit Marienfelde hatte dieser Teil Berlins gar nichts gemein. Laut, dreckig, tierisch viel Verkehr, Touristen, total andere Leute als bei uns.
»Eben Kreuzberg«, antwortete ich.
»Echt, das hier ist Kreuzberg?«, staunte Mia.
»Ja, was denn sonst?«
»Mitte?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ne, Alex und so ist Mitte, das hier ist Kreuzberg.«
»Ich dachte, Kreuzberg wäre die Gegend zwischen Südstern und Oranienstraße. Oder eben direkt am Kreuzberg.«
»Ja, aber nicht nur.«
»Okay.«
»Ich bin ja so neugierig, hoffentlich ist er da«, rief Mia, als wir endlich die große Kreuzung vor dem Willi-Brandt-Haus erreicht hatten.
»Hoffentlich«, antwortete ich ihr, obwohl ich inzwischen eher das Gegenteil hoffte. Ich wollte nicht mehr, dass Mia und Len sich begegneten.
Zu meiner großen Erleichterung waren aber nur zwei mir total fremde schwarz gekleidete Punks am Mehringdamm mit ihren Fensterwischern zwischen den vor der Ampel haltenden Autos zugange. Von Len und Ella keine Spur.
»Tja, leider nicht«, sagte ich gespielt traurig.
»Und die da drüben?« Mia deutete hinüber auf ein kleines Stück Wiese neben dem Kanal. Eine kleine Gruppe Punks lungerte – ein anderes Wort fiel mir nicht ein – um eine Bank neben einem schmalen Grünstreifen herum. Alle eine Bierflasche in der Hand, und was Len gerade zum Mund führte, war ganz offensichtlich ein Joint.
»Nein, da auch nicht«, log ich.
»Echt nicht?«
»Ich weiß doch wohl, wie Len aussieht.«
»Schade. Und wenn wir mal fragen?«, schlug Mia vor. »Wenn er hier sonst… arbeitet, dann müssten die doch vielleicht was wissen.«
»Keinesfalls.« Ich schüttelte energisch den Kopf. »Das ist doch peinlich!«
»Finde ich nicht.« Und ehe ich reagieren konnte, war Mia schon zu dem Typen mit dem grauen, verschlissenen Hoodie auf die Straße gesprungen und redete auf ihn ein, während dieser einem Mercedes mit seinem Fensterreiniger die Frontscheibe säuberte.
Mit einem irritierten Gesichtsausdruck kam Mia wenig später zu mir zurück. »Der Kerl sagt, Len sitzt da drüben.«
»Wo?«
»Da, am Kanal. Er sagt, es sei der mit dem Iro!« Ihr Tonfall war inzwischen ziemlich vorwurfsvoll.
»Echt…?« Ich kniff die Augen zusammen und tat dann so, als würde das große Erkennen einsetzen. »Ja, na klar, Mensch Mia, da ist er!« Ich versuchte, überrascht und erleichtert zu klingen.
»Jaja, verarschen kann ich mich selber«, zischte mich meine Freundin an. »Aber das klären wir später. Jetzt
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