Treffpunkt Irgendwo
über den Anwalt und der Wunsch muss von dem Inhaftierten ausgehen. Und Ella hatte zunächst keinerlei Grund, meinen Besuch zu wollen. Erst als ich ihr über den Anwalt ausrichten ließ, dass es wegen Len sei, war sie bereit, für mich einen Besuchsschein zu beantragen.
Es war keine schöne Erfahrung, sie in Moabit in der U-Haft zu besuchen. Und ich hielt es auch nur durch, weil ich mir immer wieder sagte, es ist nicht Len, zu dem du gehst. Der Geruch, die Beamten, diese vielen Türen, die vor und hinter einem geöffnet und geschlossen wurden. Ich war erleichtert, als ich wieder draußen war. Wir sprachen über die anstehende U-Haft-Prüfung. Ella machte sich Hoffnung, bis zur Verhandlung rauszukommen, doch von ihrem Anwalt wusste ich, dass sie keine Chance hatte.
Natürlich fragte sie nach Len, ich konnte ihr nur sagen, dass er aus Deutschland raus sei, ich aber nicht wüsste, wo er sich momentan aufhalten würde. Ich wusste es wirklich nicht, und selbst wenn ich es gewusst hätte, im Besuchsraum hätte ich es Ella ganz bestimmt nicht gesagt. Ein Beamter saß mit uns in dem weiß getünchten Raum.
Zu meiner Überraschung bat sie mich bei diesem ersten Besuch, bald wiederzukommen.
»Ick hab doch sonst keenen«, sagte sie und vermied es, mich dabei anzusehen.
Also bin ich vier Wochen später wieder hin. Und wieder und wieder. Ich bin auch zu ihrer Verhandlung. Weinte mit ihr, als sie zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendhaft verurteilt wurde. Wie bei Len hatten sich auch bei ihr etliche Ermittlungen angesammelt, die nun in einer Verhandlung zusammen abgeurteilt worden waren. Autobrandstiftung, Ladendiebstahl, Körperverletzung, Beförderungserschleichung, gemeinschaftlicher Hausfriedensbruch, die Liste war lang. Ihr Anwalt sagte, genau genommen sei sie noch glimpflich davongekommen. Und höchstwahrscheinlich würde ihr zum Ende hin ein Teil der Strafe zum bedingten Vollzug ausgesetzt.
Len war zu dieser Zeit bereits in Spanien, wie er mir in mehreren kurzen Telefonaten erzählt hatte, ich auf meiner neuen Schule.
»Wie, du willst die Schule wechseln. Jana, du schreibst dieses Schuljahr Abitur.« Mein Vater hatte mich angesehen, als wäre ich verrückt geworden.
Es waren Sommerferien, das neue Schuljahr würde in zwei Wochen beginnen. Mein Vater saß auf unserer Terrasse im Garten und war mit seinem iPad beschäftigt. Irgendwelche neuen Apps.
»Ich wechsele auf eine Sekundarschule«, habe ich ihm erklärt. »Lieber ein Jahr länger bis zum Abi, dafür aber mit echten Menschen.«
»Aber deine Schule ist doch hervorragend.«
»Ich brauche einfach ein Jahr länger.« Ich hatte mich ihm gegenüber auf den Gartenstuhl gesetzt und wartete auf seine weitere Reaktion.
»Das ist doch Quatsch!« Er war laut geworden, hatte den Apple endlich zur Seite gelegt und sich aus seiner Gartenliege gestemmt. »Du wirfst deine Zukunft weg, Kind! Jana, das lasse ich nicht zu.«
»Ich habe mich aber schon entschieden. Zum neuen Schuljahr fange ich auf der Kurt-Hiller-Schule an. Ist alles bereits geregelt. Ihr müsst die Formulare nur noch unterschreiben.«
»Die Hiller?«, hatte er empört gerufen. »Warum die Kurt-Hiller?«
»Weil mir die Leute gefallen, die da hingehen!«
»Jana, das sind alles Haupt- und Realschüler. Und dann noch Schöneberg. Du hast keine Ahnung, was da für Leute leben.«
»Die, die ich bereits kenne, finde ich gut. Wesentlich sympathischer als die auf meiner ehemaligen Schule.«
Die Formulierung »ehemalige Schule« hatte ihn noch mehr in Rage gebracht.
»Ach ja, sind wohl so Leute wie dein Len?«, hatte er gebrüllt.
»Nein, aber die Lehrer dort haben noch nicht aufgegeben, die sind noch aktiv«, gab ich ungerührt zurück. »An der Schule sind auch die Schüler anders drauf. Die arbeiten da sogar mit Gangway zusammen, ganz offiziell in einer AG. Ebenso wie sich einige der Schüler dort ehrenamtlich bei Amnesty International engagieren. Oder Familienhilfe leisten, sozial schwachen Familien bei Ämtergängen helfen, mit zur Schuldnerberatung gehen. Alles mögliche halt.«
»Ja, das ist ja alles schön und gut. Aber weißt du, was du mit einem Abi auf der Hiller anfangen kannst? Gar nichts. Die Schule liegt im Berliner Ranking ganz hinten. Das ist der letzte…«
»Abschaum, Dreck? Was wolltest du sagen?«
»Ach, mach doch, was du willst. Aber komm nicht irgendwann angekrochen und verlange von mir, dass ich dir helfe.« Wutentbrannt war er ins Haus gestürmt.
Aber die neue Schule tat mir gut,
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