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Treffpunkt Irgendwo

Titel: Treffpunkt Irgendwo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fuchs
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könnte, doch zu meiner Verwunderung war das nicht möglich. Ich konnte es nicht, Mia und meine Freundinnen in der Schule konnten es ebenso wenig und auch mit meinen Eltern war es nicht mehr wie früher. Als ich ihnen erzählte, dass Ella verhaftet worden sei, da zeigten sie kaum eine Reaktion. »Tja, der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht!«, war der unfassbare Kommentar meines Vaters. Wir alle waren uns fremd geworden. Vielmehr, ich war diesem Leben fremd geworden. Len hatte mich doch mehr verändert, als ich mir eingestehen wollte. Vor allem jetzt, wo er nicht mehr da war. Das war die Geschichte von Montag, dem Feuerwehrmann.
    Das war der Riss, der nun auch in meinem Leben war.
    Ich reagierte mit Rückzug, tat für die Schule nur noch das Nötigste, schmiss das Basketball-Training, das Klavier staubte ein.
    »Jana, so geht das nicht weiter!«, meine Mutter stand eines Tages in meiner Zimmertür und suchte wieder einmal das Gespräch mit mir.
    »Wieso nicht?«, antwortete ich ungerührt, weiterhin auf meinem Bett liegend und lesend. Lesen, mich in Bücher verkriechen, war das Einzige, was mich seit einigen Wochen noch interessierte. Doch waren das inzwischen keine Romanzen mehr, es waren inzwischen eher politische Bücher, die ich las. Bücher, die ich im Regal meines Vaters entdeckt hatte. Über die Ungleichheit in Europa, die dunkle deutsche Geschichte. Am meisten beeindruckte mich augenblicklich ein Schweizer Soziologe mit Namen Ziegler. Worüber er sich in seinen Büchern empörte, sprach mir aus der Seele. Sätze wie »Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet« ließen mich nicht mehr los.
    »Du kannst doch dein Leben nicht einfach so wegwerfen.« Sie kam zu mir ans Bett. »Papa und ich finden das ja gut, wie du dich um Ella kümmerst…«
    »Wirklich?« Ich sah kurz zu ihr auf. »Den Eindruck habe ich nicht wirklich.«
    »Doch ehrlich, wir finden das gut, dass du… du dich engagierst.«
    »Ach.«
    »Ja, ehrlich. Es ist nur, du hast dich so verändert. Du bist so ernst geworden, wo ist die lebenslustige Jana von früher.«
    »Tja, weg, schätze ich.«
    »Das muss aber doch nicht so bleiben. Dich hindert doch nichts daran, wieder das fröhliche Mädchen zu sein, das wir kennen. Auch diese Jana ist doch nach wie vor in dir drin.«
    »Ach Mama, du hast doch keine Ahnung, was in mir drin ist.«
    »Dann sag es mir bitte, Jana, ich bin deine Mutter.«
    Anstatt zu antworten, drehte ich ihr den Rücken zu. So wie ich es auch getan hatte, als meine Mutter das mit den fehlenden dreitausend Euro auf dem Konto bemerkt hatte. Ich hatte ihnen einfach nichts mehr zu sagen. Sollten sie schreien, betteln, drohen, es war mir egal. Sie würden mich nicht verstehen, konnten mich nicht verstehen.
    Doch ich konnte auch nicht nur auf mein Handy starren und darauf warten und hoffen, dass irgendwann Len anrufen würde, um zwei Minuten mit mir zu sprechen. Manchmal lag ich abends in meinem Bett und hoffte, dass er wieder an meinem Fenster auftauchen würde. Oder ich quer über den Alex gehen und er meinen Namen rufen würde. Wenn ich diese Gedanken hatte, war ich anschließend sauer auf mich. Es war bescheuert, sich Len nach Berlin zu wünschen. Hier würde er im Knast landen, er durfte nicht hierher zurück. Es war egoistisch und falsch von mir, auch nur ansatzweise so etwas zu denken. Doch die Gedanken kamen einfach. Was war, wenn er jemand kennenlernen würde. Würden wir wirklich eine Zukunft haben? Wäre es nicht doch besser gewesen, wenn er sich gestellt hätte? Dann wäre er nun sicher im Gefängnis, würde seine Strafe absitzen, ich würde ihn besuchen und hinterher wären wir frei. Doch wann? Solche Überlegungen ließen mich endlos grübelnd im Bett liegen, blockierten mich. Ich musste etwas tun, wollte wieder aktiv werden, einen Ausweg aus meiner Resignation finden. Ella wurde mein Ausweg. Ich hatte ja Len versprochen, mich um sie zu kümmern.
    Wann immer ich wegen Ella unterwegs war, zur Jugendgerichtshilfe ging oder mit dem von Ludger vermittelten Anwalt sprach, war es so, als würde ich mich damit auch für Len engagieren. Und ich wusste auch, wenn er sich irgendwann wieder melden würde, dann würde er mich sicher nach Ella fragen.
    Ich schaffte es bereits nach einem Monat, einen Besuchstermin bei ihr zu bekommen. Was nicht ganz einfach war, denn man kann als Minderjährige nicht einfach so eine andere Minderjährige in der Untersuchungshaft besuchen. Da muss ein Richter zustimmen, das geht wiederum nur

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