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Treffpunkt Irgendwo

Titel: Treffpunkt Irgendwo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fuchs
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aber verlange ich, dass du beginnst, irgendein Leben zu leben«, sagte ich bestimmt. »Egal wie das aussieht, egal wo, und wenn das in Deutschland nicht mehr geht, dann eben anderswo. Und dazu habe ich ein Recht, weil ich dich liebe und weiß, du liebst mich auch. Len, wir beide, du und ich, wir haben ein Recht auf eine Zukunft. Das bist du mir schuldig. Ende der Predigt!«
    »Du bist ein ganz besonderer Mensch, weißt du das?«, Len stiegen wieder Tränen in die Augen.
    »Erst seitdem ich dich kenne.«
    Wir tranken schweigend unsere Tassen aus, dann ging Len hoch, um sich zu duschen. Derweil schmierte ich drei Butterbrote mit Salami und Schinken. Als ich hochkam, stand er nackt im Badezimmer. Und weil wir wussten, es würde für lange Zeit das letzte Mal sein, sind wir in meinem Bett gelandet. Doch es war nicht wie die Male zuvor, vermutlich, weil wir wussten, es war unser Abschied.
    Ich habe ihm eine Hilfiger-Sweatshirtjacke meines Vaters rausgesucht und ein Poloshirt, eine saubere Jeans hatte Len in seinen Sachen. Den Iro haben wir glatt gedrückt, außerdem fanden wir im Kleiderschrank eine Basecap. Ich gab ihm die schwarze Outdoorjacke meines Vaters. Die trug er sowieso nie, da er sie sich zu groß gekauft hatte.
    Als wir das Haus verließen und zum S-Bahnhof gingen, hätte niemand in dem jungen Mann neben mir einen Punk und vom Staatsschutz gesuchten Autobrandstifter vermutet.
    Der Zug nach Paris fuhr am Hauptbahnhof um 12:31 Uhr ab. Ein ICE bis Mannheim, dort würde Len in den TGV umsteigen nach Paris. Ankunft Paris Gare de l’Est 20:53 Uhr.
    »Cool, TGV wollte ich immer schon mal fahren!«, sagte Len, als wir auf dem Bahnsteig standen.
    »Und wo willst du dann weiter hin?«, fragte ich.
    »Baskenland, Pyrenäen, Spanien? Werde ich sehen.« Er zuckte mit den Schultern. Zwei Bahnpolizisten kamen auf uns zu. Ich zog Len zu mir und küsste ihn, bis die beiden an uns vorbei waren. Sie würdigten uns keines Blickes.
    »Und du kümmerst dich wirklich um Ella?«
    »Versprochen.« Ich fuhr ihm mit der Hand über die Wange. »Und du rufst aus Paris an, wenn du da bist?«
    »Versprochen.«
    Es gab so viel, was ich ihm noch sagen wollte. Doch wir schwiegen, sahen einander nur an und zwischendurch berührte verlegen einer den anderen. Ich strich über seinen Arm, er schob mir eine Strähne hinters Ohr oder wischte mir eine Träne weg.
    Dass der Zug schließlich einfuhr, war Schmerz und Befreiung zugleich.
    »Das war es dann!«, sagte Len.
    »Nein«, widersprach ich. »Das ist erst der Anfang.«
    Die Leute drängelten sich vor den Türen, irgendwann waren alle im Zug und ich sagte: »Du musst jetzt!«
    »Ich weiß. Jana, wie soll ich das ohne dich schaffen.«
    »Steig ein!«
    Wir küssten einander. Der Kuss ging in eine Umarmung, in ein Umklammern und Pressen über. Dann plötzlich löste Len seine Umklammerung, griff sich seine Reisetasche und verschwand im Zug. Ich versuchte, ihn durch die verspiegelten Scheiben des ICE zu entdecken, doch ich sah nur mich selbst. Nicht mehr Jana, das Mädchen aus Marienfelde, sondern Jana, eine starke junge Frau, die wusste, dass sie das Richtige tat, auch wenn es so fürchterlich wehtat. Ich schaffte es, zuversichtlich zu lächeln, winkte Len zu, der irgendwo hinter diesem Spiegelbild war und mir vermutlich auch zuwinkte. Dann gingen die Türen zu, sanft fuhr der Zug an. Ich stand da, sah mein tanzendes Spiegelbild in den vorbeigleitenden Scheiben, sah mich winken, sah, wie mein Lächeln erstarrte, sah die Tränen in meine Augen schießen, dann endlich war der Zug vorbei und ich allein.
    Ich sackte in die Knie, vergrub mein Gesicht in den Händen und brauchte endlich nicht mehr stark zu sein.

Kapitel 19
    V ier Minuten nach neun kam der erlösende Anruf.
    »Len?«
    »Alles okay!« Er klang so nah. »Hat etwas gedauert, bis ich hier eine Telefonzelle gefunden habe.«
    »Ging alles gut?« Ich kroch fast in mein Handy.
    »Total easy.«
    »Dann bist du in Sicherheit?«
    »Ich denke schon.«
    »Und jetzt?«, fragte ich. »Was wirst du nun machen?«
    »Ehrlich gesagt, ich habe null Plan.« Lens Stimme wurde leiser. »Darüber habe ich die ganze Zeit im Zug nachgedacht. Ich weiß es nicht.«
    »Ist ja auch egal, Hauptsache du bist hier weg«, versuchte ich, ihm Mut zu machen. »Alles andere wird sich finden.«
    »Ja, vermutlich…« Len stockte. »Du, Jana, ich hasse solche Telefonate. Ich mach Schluss. Du fehlst mir.«
    »Ich, ich hasse solche Gespräche auch«, log ich. »Pass auf dich auf!

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