Treffpunkt Irgendwo
willst du ausziehen, Jana, was ist denn das jetzt wieder für eine Nummer?«, regte sich mein Vater auf, als ich von meinen Plänen berichtete. Ich hatte in der Schule mitbekommen, dass in einer WG unweit der Potsdamer Straße ein Zimmer frei wurde. Das Zimmer war billig und die Wohnung unweit des Winterfeldmarktes. Ein netter Kiez, Cafés und Kneipen, ich hätte es auch nicht mehr so weit zu meiner neuen Schule.
»Ich denke, das ist für uns alle das Beste, findest du nicht?«
»Nein, das finde ich überhaupt nicht«, erwiderte mein Vater barsch. »Und ich weiß auch nicht, was das soll.«
»Jana, wieso willst du denn hier weg?«, fragte meine Mutter mit vom Weinen geröteten Augen. »Wir hatten es doch immer so schön zusammen.«
»Aber Mama, es ist doch nichts Schlimmes, wenn jemand auszieht«, versuchte ich, sie zu trösten. »Das machen doch alle Kinder irgendwann einmal.«
»Wieso, sag mir bitte einfach, wieso?«, bettelte sie.
»Es geht einfach nicht mehr! Das merkst du doch selbst.«
»Das ist nur wegen Len«, schniefte meine Mutter. »Bis der auftauchte, waren wir eine glückliche Familie.«
»Waren wir das wirklich?«, fragte ich leise.
»Ob wir eine glückliche Familie waren oder nicht, ist hier jetzt Nebensache«, mischte sich wieder mein Vater ein. »Darum geht es jetzt nicht. Aber ich werde nicht zulassen, dass du total vor die Hunde gehst. Jana, sieh dich doch mal an, was aus dir geworden ist. Dafür haben Mama und ich nicht all das in dich… versucht, dich zu fördern.«
»Du wolltest sagen, investiert, richtig?«, fragte ich ruhig.
»Ja, investiert!«, sagte mein Vater trotzig. »Nicht so, wie du das jetzt wieder falsch verstehen willst, aber ja, als Eltern hat man die Verpflichtung, sich um seine Kinder zu kümmern, sie zu fördern, und auch«, nun wurde er laut, »wenn man der Überzeugung ist, sie schlagen den falschen Weg ein, korrigierend einzugreifen.«
»Ach ja?«
»Ja, denn wir Erwachsene wissen nun einmal besser, was für dich richtig ist. Glaub mir, vieles, was du jetzt denkst, das wirst du später ganz anders sehen, über dich lachen, wie naiv du mal warst.«
»Dann hältst du mich also für naiv.«
»Das hat Papa nicht so gesagt!«, versuchte meine Mutter zu schlichten. »Lediglich, dass du später einmal zurückblicken und feststellen wirst, dass du jetzt auf dem falschen Weg bist.«
»Vergiss doch endlich diesen Len und diese Ella, die bringen dich nicht weiter!«, rief mein Vater gereizt. »Du musst dir Leute suchen, die dich nach vorne bringen!«
»Weißt du, Papa, du glaubst gar nicht, wie fremd du mir geworden bist.«
Doch dann klappte das nicht mit dem Zimmer in der WG und es war mir nicht mehr so wirklich wichtig. Meine Eltern und ich hatten auch so einen Weg gefunden. Wir lebten nebeneinanderher, Menschen, die sich unter einem Dach fremd geworden waren. Einmal hat meine Mutter mich noch nach Len gefragt, ich habe sie angelogen und danach war er nie wieder Thema zwischen uns. Sie lebten ihr Leben, ich meines. Der Riss ging mitten zwischen uns hindurch. Und ich dachte oft daran, wie ich mich mit Len in der Wohnung gestritten hatte, weil ich seinen Riss nicht verstehen konnte. Nun musste ich mit meinem eigenen Riss klarkommen. Und wie er spürte auch ich nun das Licht, das von dort in mein Leben fiel.
Kapitel 20
E nde November kam dann ein weiterer Brief an mich, darin ein verschlossener Umschlag, auf dem stand: »Für Ella«. Außerdem eine Postkarte an mich, sie zeigte einen portugiesischen Berg, auf der Rückseite stand: »Ich habe mein Buch gefunden.«
Endlich, war mein erster Gedanke. Ella und ich haben den Brief bei meinem nächsten Besuch zusammen geöffnet.
Hi Eli,
sorry, wenn ich dir erst jetzt schreibe. Aber ich war irgendwie überzeugt, dass ich dir erst schreiben kann, wenn ich einen richtigen Absender habe. Einen Ort, an den du zurückschreiben kannst, zu dem ich dich einladen kann. Es hat etwas gedauert, aber den habe ich nun.
Ich lebe nun in einem kleinen Dorf, irgendwo in der tiefsten Provinz Portugals. Die Gegend ist total einsam, die Portugiesen sind alle von hier weggezogen. Ich bin nördlich von Lissabon, in der Nähe der spanischen Grenze. Die Region heißt Serra del Estrela. Eine Gruppe echt abgefahrener Leute hat hier ein komplett verlassenes Dorf gepachtet. Sie leben hier einfach. Nicht direkt eine Gemeinschaft, kein Superprojekt, wie diese Initiativen in Berlin, nein, es sind einfach Leute, die irgendwie einen ähnlichen Traum haben.
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