Treffpunkt Irgendwo
sagte ich leise. »Du kannst sie nicht einmal besuchen. Die würden dich gleich dabehalten.«
»Ich kann sie aber auch nicht einfach so im Stich lassen.«
»Und was willst du tun?«
Len zuckte mit den Schultern. »Ich muss weg, aber ich weiß nicht, wie und wohin.«
»Hast du Geld?«
»Nicht mal mehr meine Reserve.«
»Schön, dass du zu mir gekommen bist.«
»Aber hier kann ich auch nicht bleiben. Wenn die Ella suchen, dann sind sie auch hinter mir her. Ein Haftbefehl! Weißt du, was das heißt?« Len sah mich empört an.
»Ja, dann hatte Robert, der Freund meines Vaters, also doch recht«, antwortete ich ihm. »Die brauchen manchmal etwas länger, aber irgendwann ist es so weit. Wie bei dir auch.«
»Ich weiß.«
Ich füllte den Tank der Kaffeemaschine mit Wasser und schaltete sie ein. »Eine Sekunde, ich muss was holen. Nicht abhauen, ja?«
Doch die Bitte hätte ich mir diesmal sparen können. So apathisch wie Len auf dem Stuhl saß, hatte der garantiert nicht vor wegzulaufen. Noch dazu, da er nicht mal wusste, wohin, und schon gar nicht, von welchem Geld.
Ich zog in meinem Zimmer den Umschlag mit dem Geld und dem Ticket aus dem Schreibtisch und bin wieder runter.
»Hier, ich habe ja gewusst, dass dieser Moment kommen würde und vorgesorgt, du weißt ja, wie ich bin. Versuche immer, alles durchzuplanen.« Ich legte beides vor Len auf den Küchentisch und beobachtete ihn gespannt.
»Was ist das?«
»Knapp dreitausend Euro und ein Zugticket raus aus Deutschland. Ich habe Paris gebucht. Hauptsache, du bist erst einmal weg und ich fand das ganz schön.«
Len nahm den Umschlag mit dem Geld und öffnete ihn. Ungläubig fuhr er mit den Fingern über die Scheine, dann legte er den Umschlag zurück auf den Tisch. Er griff nach dem Zugticket.
»Die haben bestimmt nicht gleich einen internationalen Haftbefehl gegen dich.«
»Wieso kennst du dich da so aus?«
»Internet, ich habe die letzten Tage genutzt, um mich… sachkundig zu machen.«
»Aber ich kann nicht weg, ich kann Ella nicht so hängen lassen.«
»Aber du hast keine Wahl.« Ich setzte mich ihm gegenüber, nahm seine beiden Hände in meine und drückte sie fest. »Len, wenn du auch im Knast sitzt, dann kannst du ihr erst recht nicht helfen.«
»Aber wer kümmert sich dann um sie.« Lens Stimme erstickte und Tränen stiegen ihm in die Augen. »Ella hat niemanden. Warum haben sie nicht mich erwischt. Wenn ich im Knast wäre, dann würden sich meine Eltern oder meine Geschwister kümmern. Aber Ella hat niemanden. Ich kann sie nicht im Stich lassen.«
Ich seufzte, sagte mir innerlich: Ach was soll’s, und laut: »Ich werde mich um Ella kümmern. Ich werde ihr einen Anwalt besorgen und mich nach ihr erkundigen.«
»Du?« Len war total durcheinander. »Aber du hasst doch Ella?«
»Na und?«, erklärte ich ihm ruhig. »Ich würde auch mit dem Teufel zum Essen gehen, wenn dich das dazu bringen würde abzuhauen. Glaub mir, lieber besuche ich Ella im Gefängnis als dich.«
»Du spinnst!«
»Wie gut, dass du das erst jetzt merkst.« Der Kaffee war durchgelaufen, ich griff nach der Kanne und goss uns beiden ein. »Viel Milch, zwei Zucker… Und jetzt frühstücken wir, dann schmiere ich dir Stullen und du duschst dich«, erklärte ich ihm seelenruhig. »Anschließend suchen wir aus den Klamotten meines Vaters etwas Passendes raus und dann bringe ich dich zum Bahnhof.«
»Du spinnst wirklich!«
»Len, du bist das Wichtigste in meinem Leben und ich werde nicht zulassen, dass du ins Gefängnis gehst.« Ich hatte mir in den letzten Tagen oft diese Situation vorgestellt, war meinen Text wieder und wieder durchgegangen. So war ich nun einmal. »Du musst abtauchen, auch wenn das bedeutet, dass wir vorerst nicht weiter zusammen sein können. Ich kann nicht mitgehen, dein Weg ist nicht meiner, mein Leben, meine Freunde, meine Familie bedeuten mir zu viel. Da bin ich anders als du. Ich hatte Glück. Aber ich will dich weiter. Verstehst du? Wir haben noch das ganze Leben vor uns. Wir werden uns trennen müssen, aber wenn wir uns wirklich lieben, unsere Liebe echt ist, dann wird sie das überstehen. Ich habe siebzehn Jahre ohne dich überstanden. Dann werde ich das auch schaffen.«
Len saß mit großen und ungläubigen Augen auf seinem Stuhl und dann zeichnete sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht ab.
»Du meinst das ernst?«, sagte er leise.
Ich nickte. »Niemand verlangt von dir, dass du ein normales Leben führen sollst. Das habe ich gelernt, wohl
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