Treibgut - 11
Stil erbaut, mit abgesetzten Kuppeln, zierlichen Türmchen und allgegenwärtigen Schrägen. Die spielerische Leichtigkeit des gestreiften Bauwerks verriet, daß es dem lange verschwundenen Stil nicht nur nachempfunden, sondern wirklich in ihm errichtet worden war.
Ishajids Gewand erwies sich wiederum als vorteilhaft, da es den beiden Maraskanern unverzüglich Zugang zum Vorsteher des Klosters verschaffte. Er paßte zu diesem Bauwerk. Wäre es denkbar gewesen, so hätte man gern geglaubt, daß er gleich nach Bauende sein hohes Amt angetreten hatte, da er nur noch aus Falten und Runzeln zu bestehen schien. Die wenigen langen Haare auf der fleckigen Kopfhaut und die im Alter überlang gewordene Nase gaben ihm das Aussehen eines Geiers, jedoch eines sehr erhabenen und stolzen Vertreters dieser Art. Für Scheïjian war sein Anblick eine Überraschung, da er zum ersten Mal vor jemandem stand, der noch älter als sein Großvater wirkte.
Der Geweihte Andralas war nicht übermäßig erfreut über diesen Besuch, jedoch auch nicht offen ablehnend. Er ließ Wein auftragen und erklärte sodann: »So Ihr kommt, um den Diskus Eurer Glaubensschwester zurückzufordern, muß ich Euch leider sagen, daß wir ihn nicht mehr haben. Die Dame Xanjidane schenkte ihn uns, da wir sie gesundpflegten und ihr die Karte überließen. Außerdem meinte sie, daß sie ihn nicht mehr benötige.«
Das war ein wenig zuviel auf einmal. »Was habt Ihr damit gemacht?« platzte Scheïjian heraus. Ohne zu ihr hinzusehen, fühlte er Ishajids stechenden Blick. Sie würde ihm abermals zürnen, da er ihr nichts von der Wurfscheibe erzählt hatte.
»Welchen Diskus?« hörte er sie scharf auf Maraskani fragen.
»Einen der sechzehn, ich hatte ihn gefunden«, erklärte er beiläufig.
Etwas abgelenkt durch das für ihn unverständliche Zwiegespräch, beantwortete der Vorsteher die Frage. »Wir haben den Metallkern der Scheibe an einen durchziehenden Händler verkauft. Eure Bekannte sagte, es sei Endurium und habe großen Wert. Wie recht sie hatte, denn achthundert Dukaten bekamen wir dafür! Doch das Geld können wir Euch ebenfalls nicht mehr geben, da wir es für den Erhalt von Tempel und Kloster ausgaben. Es sind alte Bauwerke, denen die Zeit nicht bekommt.«
»Ein guter Handel«, bestätigte Scheïjian trocken, ohne zu erkennen zu geben, daß sein Lob nicht dem Verkäufer galt. »Könnt Ihr mir beschreiben, wie der Mann aussah?« fragte er weiter. Erleichtert darüber, daß es nicht vorrangig um den materiellen Wert des Gegenstands zu gehen schien, beschrieb der Geweihte den Käufer. Er hatte keine Ähnlichkeit mit Boromeo Wulweshjoden, war nicht einmal ein Alanfaner oder Liebfelder gewesen, sondern ein dicklicher Mann aus Harben.
Scheïjian lehnte sich zurück und kaute nachdenklich auf seinem Daumennagel. Eines der Rätsel, die Verbindung zwischen der Priesterin und dem Alanfaner, das ihn seit Wochen beschäftigte, hatte sich damit als belanglos erwiesen. Es gab keine Verbindung zwischen beiden bis auf die Tatsache, daß sie ihren Diskus hergegeben hatte, daß ein windiger Händler das Kloster übers Ohr gehauen und ihn erworben und daß jener das Metall später weiterverkauft hatte, so daß es schließlich, vielleicht über weitere Zwischenbesitzer, in die Hände Boromeo Wulweshjodens gelangt war, bei dem er, Scheïjian, es gefunden hatte. Mit leichtem Unbehagen dachte er daran, daß mit seiner Hilfe das Endurium wieder in den Tuzaker Tempel gelangt war, dorthin, von wo aus es die weite Reise angetreten hatte und wohin es wieder hätte zurückkehren sollen. Entschlossen wischte er das Unbehagen beiseite, denn diesen geschlossenen Kreis, den er da bemerkte, gab es nur, weil er Teil desselben war und weil er ihn gedanklich nachvollzogen hatte. Ohne das eine war das andere nicht möglich – es war nicht viel mehr als die Frage nach der Henne und dem Ei.
Ishajid, welche die für sie sinnlose Fragerei nach dem Käufer des Diskus leid geworden war, hatte sich derweil weiter mit Andralas unterhalten. Sie erfuhr, daß es nicht Xanjidas ursprüngliche Absicht gewesen war, das Kloster aufzusuchen, sondern vielmehr die Bibliothek des Tempels, um sich dem Studium des Bosparano zu widmen. Den Geweihten waren die deutlichen Anzeichen der Blauen Keuche an ihr aufgefallen, und um Salza vor einer Verbreitung der gefürchteten Seuche zu bewahren, die vor Jahrhunderten schon einmal die Stadt heimgesucht und beinahe entvölkert hatte, beschlossen sie, sie im Kloster zu
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