Treibhaus der Träume
Aber, wie gesagt, der Xaver dachte ziemlich langsam.
Entgegen der Anordnung Dr. Lorentzens stand Dicki nach acht Tagen Bettruhe auf und zog seine weiße Uniform wieder an. Sein erster Gang war zu Rosa Ballek. Grundmoser hatte ihm ganz verstört von der Nacht gebeichtet. Nicht jeder ist geeignet, zur See zu fahren und Windstärke 12 zu erleben. Die Muskeln allein haben da gar nichts zu sagen.
Rosa saß vor dem Frisiertisch und sah Dicki verblüfft an. Er kam ihr gegenüber Grundmoser jetzt wie ein Zwerg vor. Es schien ihr fast unverständlich, daß sie ihn verfolgt hatte.
»Na, du Seegurke?« sagte Rosa Ballek verächtlich. »Was willst du? Siehst du nicht, daß hier eine Dame im Hemd sitzt?«
»Mit meinem Freund«, sagte Dicki mit gespielt zitternder Stimme. »Mit meinem besten Freund Xaver. Pfui!« Er spuckte aus, aber nur symbolisch. »Pfui!« sagte er noch einmal. »Pfui!«
Dann ging er wieder und knallte hinter sich die Türe zu. Erstarrt saß Rosa vor dem Spiegel und rollte mit den Augen.
Den blase ich von Deck, dachte sie grollend. Den ziehe ich am Top hoch als Fahne. Dieses Männchen, den ich an mir suchen muß, wenn ich ihn umarme!
Froh darüber, diesen Auftritt gewagt zu haben, setzte sich Dicki in seine Pförtnerloge und löste eine junge Schwester ab, die ihn bisher vertreten hatte. Er kam im richtigen Augenblick: Vor der Klinik hielt ein Luxuswagen und ein Mädchen stieg aus, so zart und süß, wie Dicki noch keines gesehen hatte. Schwebenden Ganges kam die Schöne näher, der leichte Mantel klaffte auf, und Dicki sah die wohlgeschwungensten Formen seines Lebens. Blonde Locken wippten bis zur Schulter. Die blauen Augen glänzten.
Dicki schnellte von seinem Stuhl hoch, nahm Haltung an und legte die Hand an die weiße Mütze.
»Gnädiges Fräulein!« rief er. »Sie möchten zum Herrn Chefarzt? Zimmer 4. Geradeaus! Anmeldung dort, wo Sekretariat steht!«
Das zauberhafte Mädchen nickte und trippelte den Gang entlang. Dicki rannte aus seiner Loge und blickte ihr nach. Welch ein Weib, dachte er. O Himmel! Verträumt lehnte er an der Wand und zuckte zusammen, als sich das göttliche Geschöpf umdrehte und ihm neckisch zuwinkte. Dickis Herz wurde ein Ballon. Er wurde rot, Zittern fuhr in seine Knie. Sie hat mir zugewinkt … mir! Wie betrunken taumelte Dicki in seine Loge, trank ein Glas Zitronensprudel und zerknüllte eine Zeitung, weil er irgend etwas zerknüllen mußte, um nicht zu platzen.
Dann verließ er seine Loge, rannte in sein Zimmer, kämmte sich erneut, schmierte Haarcreme in seine Haare, besprühte sich mit Kölnisch Wasser und wusch einen kaum sichtbaren Flecken aus seiner weißen Uniformjacke. Xaver Grundmoser, der nach vier Stunden Schlaf im Nachtwächterzimmer nach Hause gehen wollte, schnupperte wie ein Hund, als er an Dickis Loge vorbeikam.
»Parfüm wie an Frauenzimma?« sagte er. »Biste blöd, Dicki?«
»Geh nach Hause, du Klotz!« sagte Dicki verschlossen. »Penn dich aus! Was verstehst du von der großen Welt?«
Auch Dr. Lorentzen war zunächst fasziniert, als die junge Dame in sein Untersuchungszimmer trat. Die Sekretärin hatte eine leere Karteikarte hineingeschickt. Ein Zettel heftete daran: »Will keinen Namen nennen.« Dr. Lorentzen erhob sich mit deutlichem Staunen. Er dachte blitzschnell an verschiedene Film- und Fernsehstars, aber dieses Gesicht war ihm fremd, obwohl es von einer puppenhaften Art war – bis auf die Augen, die nicht in dieses Ebenmaß von Körper und Gesicht paßten. Es waren zwei große, aber merkwürdig unfrauliche Augen.
»Sie wollten Ihren Namen nicht angeben?« sagte Lorentzen. »Hat das einen besonderen Grund, gnädiges Fräulein?«
»Nicht der Sekretärin … Ihnen sage ich meinen Namen.«
Lorentzen hatte Mühe, nicht zusammenzuzucken. Die Stimme, die von diesen bezaubernd roten Lippen kam, war zwar hoch, aber hart. Das hübsche Mädchen beobachtete Dr. Lorentzen scharf. Ein Lächeln lag um seinen schmalen Mund.
»Ich heiße Bernhard Heiduk«, sagte das Mädchen. »Im allgemeinen nennt man mich Berni. Darf ich mich setzen?«
»Aber bitte.« Lorentzen zeigte auf die Ledersessel. Bernhard Heiduk setzte sich und nahm sich eine Zigarette aus dem silbernen Kästchen, das auf dem Tisch stand. Die Fingernägel waren lang und feinstens manikürt. Ein ins Orangenrot gehender Lack glänzte darauf. Auch als Heiduk jetzt die langen, schlanken Beine übereinanderschlug und sich kokett zurücklehnte, war der Eindruck für einen Mann vollkommen: Da
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