Trennung ohne Rosenkrieg - ein psychologischer Wegweiser
erfassen und nochmals mit kurzfristiger Trauer reagieren könnten.
Der Wendepunkt der Scheidung ist erreicht, sodass auch alte Rollen und ›Noch-Vertrautes‹ endgültig aufgegeben werden müssen. Die neue Rolle als Geschiedene/r ist noch fremd und wird manchmalzögerlich und unsicher nach außen, bei Behörden, Schule oder am Arbeitsplatz benannt. Für manche Verlassene ist es nach wie vor eine innerlich abgelehnte, höchst unbeliebte und nicht gewollte Rolle.
▶▶ Beispiel:
Frau L. richtet sich in Ihrer Ehe wie selbstverständlich beruflich und persönlich ganz nach den Bedürfnissen ihres Mannes. Der Gewinn ist, einen erfolgreichen Mann an der Seite zu haben, viel zu reisen und in Folge den eigenen Beruf aufgeben zu können, um gesellschaftliche Verpflichtungen zu erfüllen. Ein wunderschönes Haus und Zeit für eigene Hobbys kommen dazu. Herr und Frau L. entscheiden sich, bei einem so ausgefüllten Leben auf Kinder zu verzichten. Der »Dolchstoß« kommt, als ihr Mann sich in eine andere Frau verliebt und Vater wird. Er geht ohne Vorankündigung und lässt seine Frau zurück. Es entfacht sich ein langjähriger Scheidungskrieg um Unterhalt und Vermögen. Frau L. ist es auch nach zehn Jahren nicht gelungen, ihren Groll auf ihren ehemaligen Mann und auf das »Schicksal« loszulassen. Eine neue Beziehung scheitert unter anderem an ihren sich wiederholenden Depressionen. Sie begibt sich in therapeutische Behandlung und lernt mühsam, die Vergangenheit loszulassen und sich selbst in ihrer neuen Lebenssituation zu akzeptieren.
Ahrons meint dazu: »Die Scheidung als Teil Ihres Lebens zu integrieren bedeutet: Sie müssen akzeptieren, dass es einige Gefühle geben kann, die ambivalent und unentschieden bleiben. Außerdem gibt es Verluste, um die Sie vielleicht noch Jahre trauern. Wenn Sie in Erinnerung behalten, dass Ihre Ehe gute und schlechte Zeiten hatte, dass Ihr Expartner gute und schlechte Eigenschaften hat, dass Sie, Ihr Expartner oder Ihre Ehe nicht gescheitert sind, nur weil Sie nicht bis ans Lebensende verheiratet geblieben sind, können Sie Ihr Leben in seiner Gänze akzeptieren und die Vergangenheit in die Gegenwart integrieren.« (Ahrons 1997)
4.2 Die emotionale Scheidung
Alles hat seine Zeit
Sich begegnen und verstehen,
sich halten und lieben,
sich loslassen und erinnern.
Unbekannt
Die Scheidung markiert das juristische Ende der Beziehung und bedeutet nicht, dass der emotionale Abschluss schon erreicht ist. Das passiert in der Regel nach der Scheidung, später oder auch nie. Psychisch gesunde und widerstandsfähige Erwachsene brauchen erfahrungsgemäß zwei bis drei Jahre nach der Scheidung, bis sie in der neuen Lebenssituation gänzlich angekommen sind.
EMPFEHLUNG
Wenn Sie nicht verheiratet waren, gab es kein Hochzeitsritual, und so gibt es auch kein Scheidungsritual. Rituale helfen, Vergangenes hinter sich zu lassen, Übergänge zu gestalten und das Neue zu begrüßen. Dazu können Sie einen von Ihnen bewusst festgelegten Termin als Ihren endgültigen Trennungstag festlegen, den Sie allein oder als getrenntes Paar als Abschiedstag gestalten können. Ähnlich wie Sie einen Zeitpunkt erinnern, ab dem Sie sich als Paar, das zusammenbleiben will, definiert haben, macht es Sinn, einen Endpunkt in Ihrer Beziehung zu setzen, an dem Sie innerlich einen »Auflösungsvertrag« Ihrer Beziehung »unterzeichnen«. Rubinstein (1980) beschreibt diesen inneren Schlusspunkt mit »Ein Jawort des Verzichtes auf den anderen« geben. Das Ja zum Nein.
Zur endgültigen Lösung fehlt letztendlich noch das rückblickende Begreifen und Verstehen der Trennungsentwicklung, um sich selbst und den anderen freizugeben für die eigene Zukunft. Manche geschiedene oder getrennte Menschen entwickeln den Wunsch, rückwirkend allein oder gemeinsam die Beziehung zu reflektieren, um die Vergangenheit in die richtige Perspektive zu rücken. Sie wollen nicht nur emotional, sondern auch im Verstehen abschließen.Sie wünschen sich inneren Frieden mit der Beziehungsvergangenheit und wollen äußeren Frieden in der weiteren Zusammenarbeit als getrennte Eltern. Gelingt eine innere Versöhnung mit dem Ende der Beziehung und dem ›neuen Leben‹, gestaltet sich die weitere Verbindung auf der Elternebene besser, und ein distanzierter, aber wertschätzender Kontakt mit dem ehemaligen Partner ist möglich. Was Frieden zwischen Trennungseltern bedeuten kann, beschreibt das kleine Beispiel von Tom, dem fünfjährigen Sohn einer Mutter aus
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