Treue Genossen
der Geschirr spülte. Der spärlich eingerichtete Raum war mit wenig mehr als den notwendigsten Waagen und Kübeln ausgestattet, und sie hatte bereits eine Stunde damit zugebracht, die Leiche zu waschen und auf Blutergüsse, Tätowierungen und Einstiche hin zu untersuchen. Arkadi hatte an einem Spülstein Hulaks Kleidung in Augenschein genommen, in den Taschen des Toten aber nicht mehr gefunden als ein Portemonnaie mit Kleingeld und einen Schlüssel. Die Brieftasche enthielt nur einen feuchten Zwanzig-Griwna-Schein, das Foto eines etwa sechsjährigen Jungen, aufgenommen in einer Fotokabine, und eine abgelaufene Videoklubkarte. Arkadi hatte Hulaks Stiefel aufgeschnitten und unter der Einlagesohle annähernd zweihundert Dollar gefunden, was nicht eben wenig war für einen Mann, der mit verstrahlten Elektrokabeln handelte. Eva Kaska arbeitete auf der einen Seite des Tisches, Arkadi auf der anderen. Er trocknete die im Wasser verschrumpelten Finger und pumpte sie mittels Spritze mit einer Salzlösung voll, damit die Hautleisten hervortraten und brauchbare Fingerabdrücke lieferten, die sich mit den Abdrücken vergleichen ließen, die er von der Flasche im Boot genommen hatte.
Neonlicht färbte Leichen grün, und Boris Hulak war grüner als die meisten, ein fleischiger Körper, fest an Beinen und Schultern, um die Hüften in Fett gepackt. Eva trug ihren Laborkittel und eine Haube und ging mit professioneller Nüchternheit zu Werke. Sie und Arkadi rauchten bei der Arbeit, um den Geruch zu überdecken. Rauchen hatte herzlich wenig Vorteile, aber das war einer.
»Schon bereut, dass Sie darauf bestanden haben?«, fragte Eva. Sie durchschaute ihn, und das trug nicht zur Verbesserung seines Befindens bei. Sie zog ihre Notizen zu Rate. »Ich kann nur sagen, dass Boris mit seiner Leberzirrhose und Nierennekrose vielleicht noch zwei Jahre zu leben hatte. Sonst war er ein zäher Bursche. Und nein, er hatte kein Wasser in den Lungen.«
»Ich glaube, ich habe ihn vor ein paar Nächten in Pripjat verfolgt.«
»Haben Sie ihn erwischt?«
»Nein.«
»Und das hätten Sie auch nie. Solche Leute kennen die Zone so gut wie ein Zauberkünstler seine Falltüren, Zylinderhüte und radioaktiven Häschen.« Sie klopfte mit dem Skalpell auf den Tisch. »Hauptmann Martschenko mag Sie nicht. Und ich dachte, Sie wären dicke Freunde.«
»Nein. Ich habe seine makellose Bilanz ruiniert. Der Milizchef möchte weder Probleme, Morde noch unaufgeklärte Morde. Schon gar nicht zwei auf einmal.«
»Der Hauptmann ist verbittert. Wie es heißt, soll er in Kiew Ärger bekommen haben, weil er einen Bestechungsversuch abgelehnt hat. Damit brachte er seine Vorgesetzten in Verlegenheit, denn die hatten ihren Anteil bereits kassiert. Man hat ihn hierher versetzt, wo er einen Vorgeschmack auf die Hölle bekommt, damit er nicht auf die Idee verfällt, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen. Dann tauchen Sie aus Moskau auf, und er fühlt sich noch mehr unter Druck gesetzt. Vorhin haben Sie Hulaks Fingerabdrücke mit anderen auf einer Karte verglichen.«
»Die sind von der Wodkaflasche aus dem Boot.«
»Und?«
»Stammen alle von Hulak.«
»Ist damit nicht bewiesen, dass er allein war? Oder kennen Sie einen Russen oder Ukrainer, der seine Flasche nicht mit anderen teilt? Er ist zwar nicht ertrunken, aber außer der Stichwunde, die ihm Hauptmann Martschenko posthum beigebracht hat, habe ich keine jüngeren Spuren von Gewalteinwirkung gefunden. Vielleicht hat er tatsächlich einen dicken Fisch am Haken gehabt und sich im Fallen am Boot den Kopf angeschlagen. So oder so sollten Sie sich Hauptmann Martschenko nicht zum Feind machen. Er wäre glücklich, wenn wir jetzt aufhören würden.«
Arkadi beugte sich über die Leiche. Boris Hulak besaß ein streitlustiges Gesicht, buschige Brauen, eine breite Nase mit einem Netz geplatzter Äderchen, braunes Haar, dicht wie Otterfell, und stoppelige Wangen, aber er hatte keine Prellungen oder Schwellungen, keine Würgemale am Hals, keine Verletzungen an den Händen, die auf einen Kampf schließen ließen, keine Schramme an der Kopfhaut. Doch da war die erweiterte Iris des linken Auges, so offen wie der verklemmte Verschluss einer Kamera. Zudem hatte Arkadi seinen Samogon-Kater mittlerweile überwunden.
»Dann wollen wir den Hauptmann noch glücklicher machen«, sagte er, »indem wir beweisen, dass ich Unrecht habe.«
Die meisten Ärzte hatten nach ihren Anatomiekursen nie wieder mit Leichen zu tun und vergaßen den
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