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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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alles überlagernden Gestank des Todes. Doch Eva schob nüchternsachlich den Holzklotz etwas weiter unter Hulaks Genick.
    »Sie haben doch schon Menschen mit Kopfschuss gesehen«, sagte Arkadi.
    »Mit Pistolenschüssen in den Kopf und Gewehrschüssen ins Genick, die ihnen angeblich im Gefecht beigebracht wurden. In jedem Fall gibt es ein Einschussloch, aber das scheint bei Ihrem Mann zu fehlen. Das ist die letzte Chance aufzuhören.«
    »Wahrscheinlich haben Sie Recht, sehen wir aber trotzdem nach.«
    Eva schlitzte die Haut an Hulaks Hinterkopf von Ohr zu Ohr auf, klappte den behaarten Hautlappen nach vorn über die Augen und griff zur Kreissäge. Elektrosägen waren immer schwer und, da sie obendrein Staubwolken produzieren, bei diffizilen Arbeiten nicht leicht zu handhaben. Sie hob die Schädeldecke mit einem Meißel an, schob ein Skalpell hinein, löste das Gehirn vom Rückgrat und legte die weiche rosa Masse in ihrem glänzenden Sack neben den leeren Schädel.
    »Das wird dem Hauptmann nicht gefallen«, sagte Eva.
    Eine rote Linie lief über den oberen Teil, die Spur einer Kugel, die das Gehirn durchschlagen hatte, dann schräg abgeprallt war und die Hirnschale geritzt hatte. Hulak musste auf der Stelle tot gewesen sein.
    »Kleinkaliber?«, fragte Eva.
    »Vermutlich.«
    Sie drehte das Gehirn in alle Richtungen, bevor sie beschloss, ein granatapfelrotes Gerinnsel in Angriff zu nehmen. Sie zerteilte den Sack, schnitt in die graue Masse und quetschte wie einen Kern ein Geschoss heraus. Klirrend fiel es auf den Tisch. Sie war noch nicht fertig. Mit einer Taschenlampe leuchtete sie im Schädel umher, bis ein Strahl aus dem linken Ohr drang.
    »Wer kann so gut schießen?«, fragte sie.
    »Ein Scharfschütze, ein Zobeljäger, ein Tierpräparator. Ich tippe auf ein 5,6-Millimeter-Geschoss. Das Kaliber verwenden Sportschützen im Wettkampf.«
    »Von einem Boot aus?«
    »Das Wasser war ruhig.«
    »Aber ein Schuss ist doch laut.«
    »Möglicherweise wurde ein Schalldämpfer benutzt. Und eine Kleinkaliberwaffe macht nicht so viel Lärm.«
    »Damit hätten wir zwei Morde. Gratuliere. Tschernobyl hat eine Million Tote gefordert, und Sie haben zwei hinzugefügt. Vom Tod verstehen Sie was, würde ich sagen.«
    Während sie noch staunte, fragte Arkadi: »Was war mit der ersten Leiche, der vom Friedhof? Ist Ihnen außer der Wunde am Hals noch etwas anderes aufgefallen, das Sie in Ihrem Brief nicht erwähnt haben?«
    »Ich habe sie nicht untersucht, nur die Wunde gesehen und meine Beobachtung zu Papier gebracht. Wölfe reißen und zerren, sie hinterlassen keine Schnittwunden.«
    »Wie blutig war sein Hemd?«
    »Soweit ich mich erinnere, nicht sehr.«
    »Die Haare?«
    »Sauber. Seine Nase war blutig.«
    »Er litt unter Nasenbluten.«
    »Dann muss er stark geblutet haben. Die Nase war voll mit Blut.«
    »Haben Sie eine Erklärung dafür?«
    »Nein. Sie sind der Zauberer, nur Sie ziehen Tote statt Kaninchen aus dem Hut.«
    Arkadi suchte noch nach einer Antwort, als es an der Tür klopfte und Vanko den Kopf hereinstreckte.
    »Die Juden sind da!«
    »Was für Juden?«, fragte Arkadi. »Wo?«
    »Mitten in der Stadt, und Sie fragen nach Ihnen!«
    Die Nachmittagssonne schien auf das triste Zentrum Tschernobyls: Cafe, Kantine, Leninstatue inmitten von Süßigkeitenpapier. Zwei Milizionäre traten aus der Kantine und spähten die Straße entlang. Sie spähten so angestrengt, dass sie sich unwillkürlich vorbeugten. Vanko rannte davon, aus welchem Grund, wusste Arkadi nicht. Alles, was er sah, war ein Mann, der mit einer plumpen Überheblichkeit, die ihm irgendwie bekannt vorkam, vor einem Wagen herstolzierte. Er trug den schwarzen Anzug eines chassidischen Juden, dazu ein weißes Hemd und einen Filzhut, und er hatte statt eines Vollbarts rote Bartstoppeln. »Bobby Hoffman!«
    Hoffman drehte sich um. »Ich wusste, dass ich Sie hier finden würde, wenn ich einfach auf und ab gehe. Seit gestern gehe ich hier auf und ab.«
    »Sie hätten die Leute fragen sollen, wo ich bin.«
    »Juden fragen keine ukrainischen Kannibalen. Einen hab ich gefragt, und dann ist er verschwunden.«
    »Die Juden sind da, hat er gesagt. Sind Sie der Einzige?«
    »Ja. Habe ich denen einen Schrecken eingejagt? Am liebsten würde ich die ganze verfluchte Bande auf dem elektrischen Stuhl braten. Gehen wir weiter. Mein Rat an Juden in der Ukraine: Immer nur ein bewegliches Ziel bieten.«
    »Waren Sie schon mal hier?«
    »Letztes Jahr. In Paschas Auftrag. Ich sollte mich

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