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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Frühlingsfieber, das sagte ich doch!«, entgegnete der Bürgermeister erzürnt.
    »Ihr macht Euch schuldig, wenn Ihr nichts unternehmt!«, warf Henri wütend ein.
    »In der nächsten Woche halten wir in Quimper unsere alljährliche Frühjahrsmesse ab, Kleidung, Häute, Metalle und Bernstein werden verkauft. Es ist die größte Messe weit und breit! Wie, glaubt Ihr, würden die Kaufleute reagieren, wenn sie von einer Pest hören? Ihr werdet von mir also kaum etwas anderes hören als das: Die Pest gibt es nicht!«
    »Sagt das den Ratten«, meinte Joshua bitter.
    »Den Ratten? Was haben die Ratten damit zu tun?«
    »Es ist möglich, dass sie die Krankheit in sich tragen«, sagte Henri. »Sie leben im Schmutz und fressen allerlei Unrat. Wenn ein Mensch von ihnen gebissen wird, könnte die Krankheit auf ihn übertragen werden.«
    »Unsinn! Ratten beißen Menschen immer wieder, seit Jahrhunderten, wahrscheinlich seit Jahrtausenden! Und warum ist daraus nie eine Seuche geworden?«
    »Es gab die Pest schon früher. Und vielleicht entstand sie durch Rattenbisse, niemand weiß es. Niemand hat es untersucht.«
    Der Bürgermeister blickte Joshua für einen Moment ratlos an. In seinen zusammengekniffenen Augen glaubte der Jude ein hilfloses Schwanken zu erkennen. Doch dann riss sich der Bürgermeister zusammen und baute sich in seiner vollen Größe vor Joshua auf. Er blickte ihn an, und es war, als erkenne er jetzt genau, woran er mit seinen unliebsamen Besuchern war.
    »Wollt Ihr etwa verhindern, das unsere Messe ein Erfolg wird? Mir scheint, genau dass ist es, was Euch interessiert. Ihr seid ein Spitzel der Konkurrenz aus Brest oder Staint-Nazaire.«
    »Aber Herr Bürgermeister!«, sagte Joshua. »Was denkt Ihr von mir?«
    »Ihr Juden seid doch wirklich das Letzte!« Das Gesicht des Bürgermeisters war weiß vor Wut. Er wandte sich ab und ließ sich schnaufend hinter seinen Tisch in seinen Armsessel fallen.
    »Maire Michel! Ich verbiete Euch, so zu meinem Begleiter zu sprechen!« Henri trat drohend an den Tisch des Bürgermeisters heran. »Joshua ben Shimon ist ein ehrenwerter Mann! Außerdem besitzt er wertvolle Kenntnisse im Bereich der Kräuterkunde. Wir könnten in der gesamten Stadt Kräuterfeuer anzünden, um die Luft zu reinigen. Möglicherweise wird sich die Krankheit dann erst gar nicht verbreiten. Es wäre eine kleine Maßnahme, die sich der Bevölkerung zudem recht gut verkaufen ließe.«
    »Kräuterfeuer, was? Damit der Antichrist angelockt wird? Ein kleines Höllenfeuer mitten in der Stadt, damit die Hexen im Schutz des Satans bei uns einreiten können?«
    »Denkt wenigstens über unsere Vorschläge nach, bevor Ihr sie als Teufelswerk abweist«, bat Henri.
    Und Joshua sagte: »Ordnet zumindest an, dass sich die Menschen regelmäßig waschen. Sauberes Wasser ist ein guter Schutz gegen jede Krankheit!«
    Aber der Bürgermeister war nicht zu beruhigen. »Ihr seid doch Ausgeburten der Hölle! Hinaus mit Euch! Und wagt es ja nicht, noch einmal wiederzukommen!«
    Henri und Joshua sahen ein, dass sie hier nichts mehr ausrichten konnten. Grußlos wandten sie sich ab und stürmten aus dem Saal.
    Als sie wieder auf der Straße standen, sagte Joshua: »Er ist ängstlich und engstirnig wie so viele Ratsherren. Wenn in Quimper wirklich die Pest grassiert, wird er völlig versagen.«
    »Dennoch«, warnte Henri den Freund, »er ist gefährlich. Er ist womöglich noch gefährlicher als eine Ratte, denn er weiß genau, was er tut. Er sieht, dass es falsch ist, unsere Warnungen zu missachten, und er tut es dennoch. Bald wird es zu spät sein.«
    »Es ist schon zu spät«, sagte Joshua und deutete mit grimmiger Miene die Straße entlang. Henri folgte seinem Fingerzeig, und dann sah er es auch.
     
     
    Sean wechselte stumme Worte mit der Kranken. Eben noch war Magister Priziac in der Kammer gewesen, hatte Angélique zur Ader gelassen und gewaschen. Jetzt war Sean wieder allein.
    Angélique lag weiterhin bleich und mit geschlossenen Augen auf ihrem Lager. Sie zeigte keine Reaktion. Und dennoch war Sean ihr noch nie so nahe gewesen. Ihm war, als sprächen sie auf völlig neue Weise miteinander. Konnte das sein? Dass sich Menschen vollkommen wortlos miteinander verständigten?
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, zog Sean das Tuch mit Angéliques Bildnis aus seinem Umhang. Er küsste es. Dann legte er es auf das Gesicht der Kranken. Vielleicht besaß dieses Tuch, das Angéliques Vater einst mit kräftigen Wasserfarben bemalt hatte,

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