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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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für den Weiterbau der Kathedrale von Quimper bestimmt, aber auch für die Kalvarienberge, die in immer größerer Zahl entstanden.
    Die Gefährten ließen ihre Pferde traben. Sie genossen den lauen Tag mit seiner frischen, erquickenden Luft. Bald erreichten sie eine schmale Landbrücke, hier wurde der Wind stärker und schwoll von einem leisen Flüstern zu einem lauten Brüllen an, bevor er sich wieder beruhigte. Schließlich erreichte der Pfad das Meer. Hier ritten die Gefährten an zerklüfteten, nackten Felsvorsprüngen vorbei, die das anbrandende Wasser weiß aufschäumen ließen. Harte Gräser, Wacholdergestrüpp und Heidekraut waren der einzige Bewuchs in der angrenzenden Landschaft, die sich unter einem strahlenden Himmel dahinzog. Benodet lag zu ihren Füßen. Quimper war weit fort. Und damit auch Sean, an den sie jetzt alle dachten. Der Knappe hatte sie nicht begleiten wollen, die Pflege Angéliques war alles, wonach ihm in diesen Tagen der Sinn stand.
    Schweigend stiegen die Freunde von ihren Pferden. Jeder hing seinen Gedanken nach, als sie auf eine vor dem Meer liegende fensterlose Kapelle mit offenem Glockentürmchen und einem einfachen Kreuz zugingen, die von einer höheren Mauer umschlossen wurde. Die Gefährten umrundeten das Mauerwerk, und obschon sie unterschiedlichen Glaubens waren, spürten sie alle die Kraft und den Trost, die von diesem Ort ausgingen. Auf einer gegenüberliegenden Insel saßen schwarze Kormorane und trockneten ihre ausgebreiteten Flügel. Möwen ließen sich vom Aufwind tragen und segelten erhaben dahin.
    »Wir können Angélique nicht helfen«, stellte Joshua plötzlich fest. »Sie wird sterben. Was wird dann mit Sean? Was können wir für ihn tun?«
    Die Gefährten antworteten nicht. Keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte. Endlich meinte Uthman:
    »Er wacht an ihrem Lager. Das ist eine Erfahrung, die ihn prägen wird. Niemals zuvor hat er dem Tod so direkt ins Auge geschaut. Ich meine nicht den schnellen, gnädigen Tod, den ein Schwerthieb im Kampf mit sich bringt. Ich meine die schäbige Gestalt des qualvollen Todes, der im Leben auch immer gegenwärtig ist. Diese Erfahrung wird Sean endgültig erwachsen machen.«
    »Oder ihn zerbrechen«, zweifelte Henri.
    Sie saßen eine Weile auf dem Felsen vor der Kapelle und ließen ihre Blicke schweifen. Das Licht über der Bucht war einmal golden und dunstig und dann wieder hellblau, glasklar und durchsichtig. Immer wieder durchbrachen lange Sonnenstrahlen die aufziehenden Wolken und schienen auf etwas hinzudeuten. Die Gefährten lauschten den Stimmen der Natur. Es waren andere Stimmen als jene, die sie in der Stadt vernahmen. Sie waren kraftvoller und gleichzeitig friedlicher. Der Mensch braucht die Natur, dachte Henri, sie ist Schöpfung.
    Nur widerstrebend standen die Freunde nach einer Zeit der Rast wieder auf und bestiegen ihre Pferde.
    Sie verließen die Felsenregion, ritten nach Benodet hinab und an der Odet entlang nach Quimper zurück. Am Flussufer erblickten sie Lastkähne, die Material für den Kirchenbau transportierten.
    Die Landschaft, die sie durchquerten, war durchzogen von unzähligen Kreuzen, Türmen und Menhiren. Von Menschenhand gemachte Bauwerke wechselten sich ab mit Schöpfungen der Natur. Und sie alle schien ein Geist beseelt zu haben. Sie schienen so lebendig. Es war eine geheimnisvolle Landschaft.
    An einer Stelle, an der Bauarbeiten für einen neuen Kalvarienberg im Gange waren, stiegen die Gefährten ab. Die Steinmetze arbeiteten hier mit körnig glitzerndem Granitstein. Er ließ sich nur schwer ziselieren, brachte aber den Schmerz, den die Steinfiguren zum Ausdruck bringen sollten, wunderbar zur Geltung. Silberne Flechten durchzogen ihn wie feine Äderchen. Das steinerne Bildnis war fast fertig. Man konnte bereits allerlei merkwürdiges und phantastisches Getier erkennen, das sich als Verzierung oder auch als Wasserspeier an den Längsseiten hinzog.
    Die Gefährten waren von dem Kunstwerk bewegt. Eine Szene war schon voll ausgeformt. Gott und Teufel begegneten sich. Man blickte auf einen Christus, dessen ebenmäßige Züge in starker, männlicher Geistigkeit erschienen. Er lauschte den Einflüsterungen des Satans, der mit seiner Rechten auf Steine zeigte, die Christus für die Hungernden in Brot verwandeln sollte. Die scheußliche Teufelsfratze mit Hörnern, Stirnwülsten, Glotzaugen und gefletschten Zähnen lachte siegesgewiss, unter ihrem Rock lugte der unförmige Bocksfuß hervor.
    »Ein solcher

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