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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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leer. Je näher die Gefährten der Kathedrale kamen, desto lebendiger wurden sie allerdings. Die Kathedrale zog alle Einwohner von Quimper magisch an, denn dort fühlten sie sich vor der Seuche am sichersten. Obwohl oder vielleicht gerade weil rings um die Kirche besonders viele tote Ratten lagen.
    »Was soll man davon halten?«, fragte sich Henri laut. »Wollten sich die Ratten hier sammeln, um die Stadt zu verlassen? Oder sind sie von überall her gekommen, um hier zu sterben?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Uthman. »Sagen die Seeleute nicht, die Ratten verlassen das Schiff, bevor es sinkt?«
    »Das würde bedeuten, die Stadt ginge zugrunde, die Ratten merken es und wollen sie verlassen.«
    »Vielleicht wittern sie etwas.«
    »Was könnte das sein?«
    »Ein Erdbeben? Vielleicht kommt auch der Komet zurück und bringt das Unheil mit sich.«
    »Vermutlich ist es wirklich die Seuche, die sie anlockt. Die Ratten waren das erste sichtbare Zeichen dafür, dass die Krankheit in der Stadt ist. Und bislang sind sie auch das eindringlichste Zeichen. Noch ist die Seuche nicht wirklich ausgebrochen.«
    »Ich sehne mich nach Frieden«, seufzte Uthman.
    »Wenn sich die Seuche ausbreitet, sind vor allem die tranigen Stadträte daran schuld«, meinte Henri. »All die toten Tiere, die hier herumliegen und verwesen, laden die Krankheit doch geradezu ein, sich hier heimisch zu fühlen.«
    »Angélique ging es heute Morgen auffällig besser«, sagte Uthman. »Das erscheint mir seltsam. Bei den beiden Toten, die es bisher gegeben hat, ist die Krankheit viel später ausgebrochen und hat viel früher zum Ende geführt.«
    »Ich werde auch nicht klug daraus. Fast scheint es, als mache die Seuche nur eine Pause, um einmal kurz Luft zu holen, um dann erst recht zuzuschlagen.«
    »Wir müssten alle Mediziner der Stadt zusammentrommeln und mit ihnen sprechen«, sagte Uthman. »Vielleicht lassen sich dadurch neue Erkenntnisse gewinnen. Wichtig wäre auch zu wissen, ob es weitere Infektionen gegeben hat. Die Erkrankten müssten isoliert werden.«
    »Angélique lebt praktisch isoliert.«
    »Eben. Vielleicht ist die Krankheit deshalb bei ihr ins Stocken geraten.«
    »Vielleicht, aber über medizinische Maßnahmen kann leider nur der Stadtrat entscheiden, und der erkennt den Ernst der Lage zurzeit nicht.«
    »Wir sollten Quimper verlassen, solange es noch möglich ist. Lass uns übers Meer fahren, wohin du willst!«
    »Das wäre schon wieder eine Flucht«, erwiderte Henri. »Ich bin des ewigen Umherziehens müde.«
    »Willst du dich sesshaft machen?«
    »Nein. Aber ich kann auch nicht ständig davonlaufen. Meine Unruhe wächst von Tag zu Tag. Ich vergeude mein Leben. Ich muss endlich wieder für meine Ideale eintreten.«
    »Dann suche deine versteckten Reichtümer zusammen und sammle eine Armee um dich!«
    »Das sagt sich so leicht, Uthman. Ich bin Einzelkämpfer.«
    »In Quimper erwartet dich allerdings gar nichts – außer einer Seuche, die alle deine Pläne zunichte machen kann.«
    »Sei nicht so pessimistisch, Uthman. Du weißt, dass wir nur Seans wegen hier sind. Wenn Angélique gesund wird, ziehen wir weiter.«
    »Aber wohin?«
    »Wohin du willst!«
    »Wir könnten nach Spanien gehen! Oder nach Portugal. Herrliche, warme Länder!«
    »Länder, in denen die Inquisition ihr Unwesen treibt!«
    »Italien!«
    »Dort sitzen die Verräter des Heiligen Stuhls, die ihre Ableger in Avignon bekämpfen.«
    »Wohin also?«
    »Ich weiß es nicht, Uthman. Aber wir können ohnehin erst entscheiden, wenn Joshua wieder da ist. Komm, lass uns weitersuchen.«
     
     
    Joshua fühlte sich unwohl. Christliche Kirchen waren ihm nicht geheuer, mochten sie auch noch so festlich sein wie Saint-Corentin. Überall lauerten unbekannte Tabus und Verbote auf ihn, und das nicht nur, weil der Sakristan ihm gedroht hatte. Er fühlte sich schon allein aufgrund seiner Anwesenheit schuldig, ihm war, als beschmutze sein jüdischer Glaube die Reinheit dieser christlichen Zuflucht.
    Joshua schwitzte. Trotz der dicken Mauern war es heiß in der Kathedrale. Hunderte von Pilgern und Betenden stießen hier täglich ihren heißen Atem aus. Tausende brennende Kerzen verbrauchten die Luft. Und draußen nahm die Schwüle ebenfalls zu. Über der Stadt braute sich ein Frühlingsgewitter zusammen. Selbst das Meer hatte tagsüber sein helles Blau eingebüßt und unter dem wolkenverhangenen Himmel wie eine stumpfe, flache Lache aus flüssigem Blei gewirkt. Die Gewitterschwüle weckte in

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